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vorspringend, um das Versäumte mit einem Satz nachzuholen oder
gar zu überholen. Es gilt dann Eile, um auf die Höhe der Zeit zu
kommen. Dieses Betardiren und sprungweise Avanciren sieht man in
der That auch dem österreichischen Mode-Geschmack an, wenn man
ihn im Laufe der Zeit in’s Auge fasst.
So zum Beispiel nahmen die deutsch-österreichischen Länder in
der Blütezeit des Mittelalters fröhlichen Antheil an Bitterthum und
Minnegesang und was sonst der Zeitgeist Eigentümliches darbot.
Ihre Dichtergruppe war vielleicht die zahlreichste, ihr Ton der iiber-
müthigste und in der phantastisch - abenteuerlichen Sichtung des
Bitterthums trieben sie es wohl am ausgelassensten und kamen der
Thorheit unter allen deutschen Ländern am nächsten. Gleicherweise
machten sie es mit der Kleidung. Es ist gar nichts Eigentümliches,
was man im zwölften Jahrhundert in Oesterreich trug, aber aus dem,
was wir sehen oder aus Chroniken und Liedern erfahren, geht hervor,
dass der Oesterreicher gerade an Schmuck und Beiwerk mit ausge
lassener Freude hing und übertrieb, was die damalige Mode, denn
es gab eine im zwölften Jahrhundert so wie heute, davon aufweiset.
Ganz das Gegenteil sieht man im siebzehnten Jahrhundert,
als spanischer Einfluss am Steuer des Staatsschiffes sass und religiöse
und politische Beaction den Lauf hemmte. Auch in Spanien trugen
damals die gebildeten und vornehmen Stände nichts als das Kleid der
allgemeinen Mode, aber stets um einige Jahrzehnte veraltet und als ver
altet auch versteift und erstarrt. Den gleichen Charakter, wenn auch
nicht die völlig gleiche Verspätung wird man leicht an österreichischen
Porträts oder Costümen dieser Zeit finden, namentlich am Hofe seihst
und in jenen Kreisen, die dem Hofe nahe standen. Was man aber nicht
finden wird, es sei denn jenseits der Leitha, das sind irgend nationale
oder sonst Landes - Eigentümlichkeiten an der Kleidung der vor
nehmen und gebildeten Welt. Die slavischen Trachten waren damals
schon längst in diesen Kreisen der Gesellschaft im Bückgang oder
man kann sagen verschwunden. Sie haben unseres Wissens über
haupt nur einmal einen Einfluss auf die Mode gewonnen, und das
war gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, als die Verbin
dung der Luxemburger mit Böhmen und die Besteigung des deutschen