Section I. Schafwollwaaren. Die Teppichfabrikation. 449
den die Teppiche unter den anderen Erzeugnissen der Weberei ein
nehmen, zusammen.
Die Teppichfabrikation ist eine uralte Industrie. An den Ufern
des Indus und Araxes stand ihre Wiege und in denselben Gegenden
blüht sie noch heute nach Jahrtausenden in alter Frische, unserer euro
päischen Fabrikation Anregung und neues Leben gebend. Unter allen
Producten der Weberei vermöge seiner Farbenpracht und der Man
nigfaltigkeit seiner Anwendung, die, ihm stets neue Schönheiten ablockt,
ist der Teppich — und neben ihm wohl noch einzig der Shawl — das
poetischste; er erscheint, sobald der Sinn nach häuslichem Schmucke
im Menschen rege wird, die Sesshaftigkeit, das Behagen am Hause, im
Gegensätze zum Nomadenleben, auftritt. Der Gebrauch der Teppiche
war im Alterthume, ja bis ins Mittelalter hinein ein weit vielseitigerer
als heutigen Tages. Er bedeckte den Fussboden, bekleidete die Wände
und wurde über die Polster gebreitet. Bei feierlichen Gelegenheiten
schmückte er die Fajade der Häuser, kurz er vereinigte die Zwecke
des Ieppichs, der Tapete, des Möbelstoffes in sich und bildete das
Hauptdecorationsstück des Hauses. Während im Oriente der Teppich
noch heute viel von dieser alten Bestimmung behalten hat, ist in
Europa seine Anwendung nur zur Bedeckung der Fussboden übrig
geblieben, auch hierzu grösstentheils nur als Luxusgegenstand. Jedoch
fängt dieser alte, dem Auge ebenso wie dem Gefühle wohlthuende
Schmuck einer behaglichen Häuslichkeit an, sich aufs Neue Bahn zu
brechen und grössere Anwendung zu erlangen. In England ist der
Teppich bereits in den „Standard of life“ des massig bemittelten
Mannes eingedrungen und bildet einen fast unentbehrlichen Zimmer
gegenstand; auch in Frankreich hat er bis in die kleinsten Wohnungen
Eingang gefunden, während er bei uns in Deutschland noch als ein
Luxusstück gilt, dessen decorativen Werth man kaum erkannt hat.
Jedoch scheinen auch wir auf dem Wege zu sein, zum Nutzen unserer
gesammten Geschmacksrichtung dem Teppiche einen ausgedehnteren
Gebrauch zu geben.
Es ist der Teppich ferner ein lehrreiches Beispiel, wie in der Natur
eines jeden Gegenstandes Gesetze liegen, die in der Regel nicht der
grübelnde Verstand, sondern der instinctive Trieb derer entdeckt, bei
denen sich ein Bedürfniss nach dem betreffenden Gegenstände kund-
giebt. Diese Gesetze betreffen meistens das Verhältniss der Form zu
Stoff und Anwendung, während die Technik der Herstellung durch
neue und vortheilhafte Methoden verbessert und vereinfacht wird.
Beim Teppich ist es indessen nicht nur in der Form, sondern auch in
der Technik, wo in uralter Zeit gleich der typische Ausdruck in glück
lichster Weise gefunden worden ist, wo die Nachahmung sich nach
beiden Richtungen erstreckt.
Wiener Weltausstellung. I.
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