llona Särmany-Parsons
Ludwig Hevesi -
mehr als ein österreichisch-
ungarischer K unstkritiker,
Chronist und Wegbereiter
ing 1985erschien in den Schaufenstern derWiener
thandlungen ein schönes einfaches Buch mit typi-
im Josef-Hoffmann-Einband: die Neuauflage von
it Jahre Sezessionir. Der Autor dieses Buches, der
ker Ludwig Hevesi. hat vor ca. 75 Jahren, am
Iebruar 1910. in Wien seinem Leben durch Selbst-
deinEndebereiteLWerwardieserMann eigentlich.
dessen Persönlichkeit wir heute so wenig wissen?
irlich ist nicht nur den Sezessionstorschern, son-
ialien Liebhabernderwiener Kunst umdieJahrhun-
wendewohlbekannt. daß er derwahre Chronistdie-
Kunstepoche war und sogar die Losung der Se-
llOFl. nDer Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheitri.
imtevonihm.SeineSchriftensindeinewahre Fund-
le für die wissenschaftliche Forschung, aber über
ehite -thematisch bedingt? - auch der geringste
veis auf der so erfolgreichen Ausstellung i-Traum
Wirklichkeit-r. Wahrscheinlich würde ihm das sogar
znehm sein. denn. soweit wir aufgrund von zeitge-
iischen Meinungen und Nachrufen sein Persönlich-
lbild rekonstruieren können. war er sehr beschei-
und zurückhaltend. Er lebte als Junggeselle allein
hatte sein Leben völlig seiner Arbeit als Kulturkriti-
intergeordnet. vSeit vielen Jahren hat er eine Woh-
; in der Waifischgasse. die über und über mit
hern angefüiltwar.dieertagelangnichtveriieß, war
amein fleißig. saß oft Stunden ununterbrochen am
'eibtisch. und wenn er arbeitete. durfte niemand zu
vorgelassen werden. Wenn man ihn störte, konnte
ihr ungehalten sein. Sonst war ereine ungemein lie-
swürdige Natur und stets zu Scherzworten aufge-
v (Nachruf des i-Pester Lloydix.)
zdem derailgemeine Stil von Nachruten immerjubi-
nd ist. ist es auffallend. wie einstimmig positiv und
twertend seine Zeitgenossen über ihn schrieben.
chien keine Feinde zu haben, weil er mit einem
mderen Feingefühl immer das Positive. das Wert-
l in allem gesehen hat und hoch über persönlichen
ipfen und kleinlichen Dingen stand. Er hat nie nur
'teilt, noch seltener verurteilt, sondern er hat
ärt. vermittelt wie Kunst gesehen und verstanden
ien soll. i-Seine Empfänglichkeit schien ebenso
agrenzt. wie seine Vorurteilslosigkeitu - schrieb
' ihn Arthur Roessier.
ier kam diese offene. hochgebiidete, liberale
chauung der Dinge?
lvig Hevesi ist in Ungarn am 20. Dezember 1843 in
es als Sohn des jüdischen Arztes Lövy geboren. in
: absolvierte er das Gymnasium. und auf seines
zrs Wunsch begann er dort auch Medizin zu studie-
Schon auf der Pester Universität interessierte ihn
an Medizin klassische Philologie, und bald setzte er
e wissenschaftlichen Studien an der Wiener Uni-
lität fort. Schon während seiner Budapester Univer-
szeit war er mit bekannten jungen Literaten. wie
lS Döczi, Jenö Flakosi und Adolf Ägai, eng befreun-
Sie formten eine schöngeistige Vereinigung, die
fequeiletr, und haben nach dem Ausgleich zwischen
zrreich-Ungarn mehrere bürgerlich orientierte. libe-
Zeitschriften herausgegeben. Ägai redigierte das
Jiärsleungarischewitzblatt,denwBorszem Janköu,
welchem auch der junge Hevesi ein Mitbegründer
(1868). Sein sprichwörtlich liebenswürdiger. nie
denioser Humor entwickelte sich wahrscheinlich in
em Kreis, in dem man eher Anekdoten als Satiren
zhrieben hat und man stets sehr human mit den all-
chen menschlichen Schwachen umgegangen ist.
ivig Hevesi publizierteerst 1 866 im deutschsprachi-
gen Tagblatt der ungarischen Hauptstadt, im "Pester
Lioydu, und er war lebenslang ein treuer Feuilletonist
dieses Blattes geblieben. Sofort hat man. anfangs
schon. sein Schreibtalent erkannt, und er bekam die
redaktionelle Verantwortung für die nPester Briefer. die
WochenplaudereLJedoch balddehntesich seineArbeit
in andere Bereiche aus. wie Lokalhumoresken, Essays.
Fieiseberichte. Er war z. B. der erste, der über Wilhelm
Busch ein ernstzunehmendes Kunstfeuilleton schrieb.
damals. als man den Wert von Busch' Kunst kaum
erkannte. Neben der Arbeit am nPester Lloydr: verfaßte
er auch Artikel in ungarischer Sprache für andere
Pester Zeitschriften. Er schrieb sowohl in Ungarisch
wie in Deutsch im gleichen eleganten. klaren Stil und
zahlte bald zu den bekanntesten Humoristen Ungarns.
1 Ludwig Hevesi
2 Joseph Maria Olbrich. Das Gebäude der Wiener Secession.
1898. Ausschnitt mit der Devise wDer Zeit ihre Kunst. der
Kunst ihre Freiheitu. Federzeichnung in Schwarzweiß
2 Gustav Klimt, wDie Jurisprudenzl. OilLeinwand, orig. 430 x
300 cm. Großer mittlerer Ausschnitt
vSeine Pester Skizzen waren in jener bewegten Zeit die
erquickenden Oasen der politisch überlasteten Zei-
tung . . . ErwarderChroniqueurdes alten Pest gewesen.
gleichwieerderErzählerfürdie ungarischeJugend von
vor vier Jahrzehnten warr - schrieb sein Freund und
Patron Max Falk im Pester Lloyd.
Seinen größten Erfolg und große Popularität hat er
damals mit seinem Jugendroman iiDie Abenteuer des
Andreas Jelkyr erreicht (1871). Dieses Buch war in
Ungarn neben nFlobinson CYUSOell das beliebteste
Jugendbuch geworden. im Jahre 1875 hatte er es auch
inDeutschveröffentlichtjedochnurdiefinnischeÜber-
setzung wurde ein ebenso großer Erfolg wie die
ursprüngliche. ungarische Version. Vielleicht inspi-
rierte ihn dieser Erfolg dazu. eine illustrierte Kinderzei-
tung herauszubringen - zwischen 1871 und 1874 -
unter dem Pseudonym lOnkel Tomu. Er selbst hatte die
ersten sieben Bande geschrieben. die nicht nur Mär-
chen. sondern auch wwahre Abenteuerr der Weltge-
schichte und mit viel Emphatie erzählte Kinderge-
schichten beinhalteten. Diese Jugendzeitschrift wurde
parallel in Pest und in Wien veröffentlicht. Zum ersten
Mal wurden Kate Greenaways lllustrationen in Ungarn
gezeigt. undim allgemeinen warderCharakterdernklei-
nen Leuten stark anglosächsisch orientiert.
Schon seit 1870 pendelte Hevesi dauernd zwischen
Wien und Budapest und hatte für das Feuilleton des
Pester Lloyd wwiener Plaudereien-t gyschrieben, wel-
che memoirenhafte Schilderungen hervorragender
politischer. künstlerischer oder gesellschaftlicher
Erscheinungen waren. im Jahre 1873 hat er einen der
ersten FteiseführerüberBudapestundseine Umgebung
geschrieben. (Pest. Buda und Öbuda wurden nur in die-
sem Jahr offiziell vereinigt.) Er wurde auch in Deutsch
veröffentlicht. und schon in dieser Arbeit zeigte sich
klar. daß er ein besonderes lnteresse für die schönen
Künste hatte.
1875 war das Jahr der politischen Krise in Ungarn, und
sehr viele Zeitungen und Zeitschriften wurden - meist
aus finanziellen Gründen und weil es noch keine große.
aufgeschlossene bürgerliche Leserschicht gab - ein-
geschränkt. Vielleicht hat das auch Hevesis Entschei-
dung, nach Wien zu übersiedein, beeinflußt. Mit Hilfe
seines Freundes Lajos Döczi. der vorher der ungari-
sche Korrespondent der vNeuen Freien Pressen war,
bekam er die Post der Burgtheaterreferenten und der
bildenden Künste beim Fremden-Blatt. Er veröffent-
lichte im Pester Lloyd weiterfast wöchentlich Aufsätze.
meistens über Themen der Kultur. Da für seine weitge-
spannten Interessen Grenzen nicht existierten. waren
seine Feuilletons stets Musterstücke europäischer Kul-
tur, über Schauspielerei, Literatur und bildende Kunst.
"Zum Kritiker auf dem Gebiete der bildenden Künste
hatte sich Hevesi zunächst durch seine mit geradezu
bienenhaftem Fleiß betriebenen kunsthistorischen Stu-
dien qualifiziert. in diese erste Zeit seiner literarischen
Tätigkeit in Wien fallt die Gründung seiner kunstge-
schichtlichen Bibliothek. die er im Laufe derJahrzehnte
immerundimmeraufdas kostbarste bereichert hat und
die nebst seinen eigenen Arbeiten wohl einen der wert-
vollsten Schätze bildet. die erhinteriieß. Um die Technik
des Malens auch aus der Praxis kennenzuiernen. führt
er selbst - versuchsfreudig und unternehmungslustig
wie er seit seiner Jugend war - unter der Anleitung
eines anerkannten Meisters den Pinsel. Er weiß, daß in
ihm kein echterbildenderKünstlersteckt. abererarbei-
tet trotzdem mit allem Eifer, weil er merkt. wie sich sein
Verständnis im Arbeiten vertieft. Wie wahr er dabei
empfand. das haben später viele berühmte Maler
bezeugt. indem siesagten, daß nurhöchstselten ein Kri-
tiker imstande gewesen sei. mit ganz wenigen, knappen
Worten ein Bild förmlich farbig und plastisch vor Augen
zu führen wie Hevesi. Seine Feder hatte koloristische
Kunstß (Nachruf des Fremden-Blattes)
Obwohl Hevesi seit 1875 bis zu seinem Tode Kritikerdes
Burgtheaters war, ist seine kunsthistorische Bedeutung
in seinen Kritiken auf dem Gebiet der bildenden Künste
begründet. Es ist wohl als kurios zu bezeichnen. daß er
in seinen Kunstkriliken die größte Offenheit und Ver-
stand für alles Neue gezeigt hat. jedoch von der klassi-
schen Theaterepoche und deren erhabenen Stil inner-
lich niemals losgekommen ist. "Von einem neuen Stil
der Schauspielkunst hat er nichts wissen wollen. Den
Naturalismus ließ er als schauspieierischen Stil nicht
gelten und hat die Bemühungen der naturalistischen
Darstellung an ibsen gering, vielleicht allzu gering
geschätztir (premden-Blatt) vEr glaubte. daß die Büh-
nenperspektive nur das Überiebensgroße in Lebens-