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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

Formdetaillierung zunäcbft noch kargen müffen, fo müffen wir 
wohl untere Kraft auf anderem Gebiete fuchen. Nicht in der 
Flächendispofition, die nicht weiter entwickelbar ift, fondern in 
der charakteriftifchen Bewegung der Mafien, die weiter ent= 
wickelt werden können, in der Steigerung des Ausdrucks der 
rhythmifchen Bewegung des ganzen Raumgebildes; denn nicht 
die einzelne Form, fondern diefe rhythmifche Bewegung des 
Raumgebildes ift das primäre Element aller arcbitektonifcben 
Wirkung. Das flbwägen der Raumverhältniffe, das Gliedern in 
Tragendes und Getragenes, das Vor und Zurück der Maffen, 
das Widerfpiel von Fläche und Öffnung, von Hell und Dunkel, 
das find die Urelemente aller architektonifchen Wirkung und 
diefe Urelemente genügen zunäcbft, um das in Austrag zu 
bringen, worauf es in allererfter Linie ankommt, nämlich ohne 
eine Zeitepoche in der Wirkung der Maffen und ihrer Verhält* 
niffe einen eigenen Rhythmus zu befitjen beginnt. Wenn man 
die monumentalen Leiftungen unferer Zeit, befonders auch auf 
dem Gebiete des Denkmals, vergleichend prüft, dann kann man 
vielleicht hoffen, daß wir auf dem Wege find zu einer eigen 
tümlichen Einheitlichkeit des Gefühls im Abwägen der Maffen 
und ihrer rhythmifchen Wirkung. Und damit ift das erfte und 
wichtigfte einer monumentalen Sprache gewonnen, ihr Grund 
charakter. Wenn wir in diefer Beziehung wirklich zu einem 
allgemein gültigen Refultat kommen, fo bedeutet das für die 
monumentale Geftaltung ein ähnliches Prinzip, wie es fich für 
die bürgerliche Geftaltung im Prinzip ftrenger Sachlichkeit aus 
gebildet hat. Denn für das monumentale Schaffen mit feinen 
Anforderungen des Ausdrucks eines ideellen Zweckes ift nicht 
die nackte Konftruktion, fondern das innerlich-logifche Abwägen 
der Rhythmik dasjenige, was dem Begriff »fachlich* entfpricht. 
Auch hier ift das erfte Refultat Einfachheit, und in diefem ein 
fachen Grundorganismus gilt es dann, nach der Seite der Form 
hin das zu betonen und zum individuellen Leben zu erwecken, 
was diefen Rhythmus des Grundorganismus noch deutlicher und 
klarer betont. Dazu bedarf es dann nicht nur des Ornaments, 
fondern es bedarf, um zu völlig gültigem Ziel zu gelangen, der 
Hilfe aller Kunft, der Plaftik und der Malerei. Im Zufammen- 
arbeiten mit der Architektur und ihren höcbften Wirkungen 
muß Plaftik und Malerei, wenn man das Wort richtig verftehen 
will, wieder zum Kunftgewerbe werden. Soll alfo nicht nur die 
eine Seite künftlerifcher Kultur, die des bürgerlichen Zweck 
begriffes neu weiterentwickelt werden, fondern auch die andere, 
die ausmündet in den großen Innenaufgaben monumentaler 
Kunft, fo ift ein Bündnis zwifchen Architektur, Plaftik und Malerei 
eben fo wichtig, wie das Bündnis zwifchen Architektur, Tifchlerei 
und allen edlen Einzeltechniken des Kunftgewerbes. □ 
Mit einem Wort, es gilt die Schranken der Spezialifierung der 
einzelnen Sondergebiete durch das Medium architektonifcher 
Gefinnung in der ganzen Front künftlerifchen Schaffens all 
mählich aufzuheben. □ 
Diefe Spezialifierung ift das cbarakteriftifcbfte Erbteil des neun 
zehnten Jahrhunderts. Das neunzehnte Jahrhundert ftand auf 
dem ganzen Gebiet feiner geiftigen und technifchen Ökonomie 
unter der Signatur des neuartigen Wirtfchaftsprinzips der Tei 
lung der Arbeit. Diefes Prinzip war das abfolut notwendige 
Ausbilfsmittel, wodurch der einzelne in den Stand gefegt wurde, 
dem ungeheuren Anprall an neuartigen Anforderungen geiftiger 
und technifcher Natur ftandhalten zu können. □ 
Diefes Prinzip ift nicht auf geiftige und technifche Fragen 
befchränkt geblieben, es bat der ganzen Epoche den Stempel 
aufgedrückt. Es erftredete fich auch auf die Kunft. Hier, wo 
bisher nirgends ftrenge Grenzen gezogen waren, fonderten fich 
die Gebiete. Der Architekt begann den Begriff des Bauens nur 
noch auf den Rohbau zu beziehen, im Innern waltete ein neuer 
Spezialift, um diefen Rohbau einzurichten. Diefer Spezialift 
findet auf allen Sondergebieten, die er braucht, wieder Spezia 
liften, die das Schaffen von Zimmerdecken, von Tapeten oder 
Fliefen oder was immer es fein mag, als Selbftzweck betreiben. 
Das Kunftgewerbe im höheren Sinne wird ein Reich für fich 
und fucht feine höcbften Trümpfe im objet d’art, das Selbftzweck 
ift. Die Bildhauerkunft wird ein Reich für fich und febafft nur 
noch die einzelne Figur, die Selbftzweck ift und böcbftens noch 
die Architektur als Geftalterin eines befcheidenen Sockels duldet. 
Die Malerei wird ein Reich für fich; fie zieht fich in den vor 
nehmen Goldrabmen des Staffeleibildes ganz von der übrigen 
Welt zurück und wird Selbftzweck. Die Teilung der Arbeit ift 
in den Künften eingetreten. Jede entwickelt dabei naturgemäß, 
was ihr den anderen Kunftgebieten gegenüber allein eignet, 
und fo ftanden fich die Künfte auch da, wo fie fich in einem 
Einzelfalle fuchten, fremd gegenüber, fie batten den Zufammen- 
hang verloren mit dem Boden, auf dem fie fich begegnen, mit der 
Architektur. Diefe Ifolierung aller Künfte fpiegelt fich deutlich in den 
offiziellen ftaatlichen Anftalten. Die »hohe Kunft«, das Kunftgewer 
be und die Architektur werden in Sachten an drei verfchiedenen 
Anftalten gelehrt. Der werdende Architekt, der werdende Kunft» 
gewerbler, der werdende Monumentalmater, der werdende 
Architekturbildbauer können fich nicht gegenwärtig in die Werk- 
ftatt febauen und fo natürliche Fühlung miteinander gewinnen. 
Diefe Sonderung mag für die Spezialentwicklung der betreffen 
den Gebiete eine Zeitlang notwendig gewefen fein, heute drängen 
fie zueinander. Es ift ein febr charakteriftifches Symptom für 
diefe unnatürliche Entfremdung, daß im Beginn der neuzeit 
lichen Bewegung lauter Künftler auftraten, die jede künftlerifcbe 
Mitarbeit ausfchloffen, die Univerfalkünftler waren. Sie ent 
warfen, vom architektonifchen abgefeben, nicht nur Tapeten, 
Fliefen und Teppiche felber, fie waren ihre eigenen Bildhauer 
und Monumentalmaler, denn fie fanden nirgends einen Zufam- 
menbang mit anderen Kräften. Daß diefes Prinzip der Uni- 
verfalität, das zuerft fo ftark imponierte, auf die Dauer un 
natürlich ift, daß es den Künftler zur Zerfplitterung feiner Kräfte 
oder zu jenem unheilvollen Stereotypieren eines Perfönlicbkeits- 
ftils führen muß, das viele an den neuzeitlichen Leiftungen fo 
abfchreckt, liegt auf der Hand. □ 
Zum Glück zeigen fich Anzeichen zu einer Änderung. □ 
Schon gibt es kunftgewerbliche Schulen, wo auch der kunft» 
gewerbliche Spezialift fo erzogen wird, daß er erft vom Großen 
zum einzelnen kommt, daß er von einem beftimmten Raum 
gedanken ausgebt, und man lernt z. B. nicht Deckenverzierungen 
als folche, fondern Deckenverzierungen für einen beftimmten 
Raum zu machen, Tapeten- und Fliefenmufter einem beftimmten 
Zwecke anzupaffen. Die Folge ift, daß nicht mehr in der irre 
führenden Fähigkeit eigentümlicher Mufterkombinationen, fondern 
in der Fähigkeit fich einzufügen, die wahre künftlerifcbe Be 
gabung gefehen wird und Kräfte entfteben, mit denen tro^ ihrer 
Spezialifierung der im Großen fchaflfende Künftler ein Gefamt- 
ziel erreichen kann. Und was fich hier für den bürgerlichen 
Innenraum als Zeichen der Gefundung anbabnt, das beginnt 
auch für den Monumentalraum zu tagen. Was ift die ganze 
Bewegung, die anknüpfend an Adolf Hildebrands Gedanken 
vom »Problem der Form«, die Plaftik unferer Tage durchzieht, 
anderes, als ein Befinnen auf die latenten architektonifchen 
Gefetje, die dem Werke der Plaftik erft feine Reife geben. Was 
zeigt fich in dem Zug zum ftrengen Stilifieren, der in der Male 
rei nach der Epoche des Stimmungsbildes immer deutlicher 
bervorbricht, anderes, als daß fie reif wird für die großen 
Wirkungen im Zufammenbange mit Architektur. □ 
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