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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

Gartenstädte nennt man das Ergebnis solcher Wandlungen 
und mit diesen neuen Gründungen erweitert sich die Arbeit 
des Gartenkünstlers zu einer heiligen Aufgabe. Nicht ohne Sinn 
hat das Volk das Wort „Garten“ vor das Wort „Stadt“ gesetzt 
und dann, zusammengefügt, einen neuen Begriff bezeichnet. 
Schon hat sich das einfache Haus aus unserer Zeit charakte 
ristisch entwickelt! Aus unserer Zeit heraus wird sich auch 
der neue Garten entwickeln, der zu dem festen Kern des 
Hauses in Harmonie und Einklang steht. Ruhe und Einheit 
wird dann in allen Dingen liegen, die Haus und Garten er 
bauen. Das widerwärtige Schema, das wie ein unglückseliger 
Alp auf allem Schaffen liegt, es wird an den einfachen Holz 
pfählen eines heimischen Hausgartens zerschellen und neuem 
Empfinden, neuen Ideen den Weg freigeben müssen. 
Das Licht, das farbige Wunder, wird uns durch seinen Zauber 
die Einheit und Ruhe bringen, wonach eine Volkssehnsucht 
verlangt. Und mit dem Lichte, mit den Farben zieht das 
Märchen wieder in unseren Garten, in unser Heim. 
So werden wir gerecht, einem Empfinden unserer Zeit ent 
sprechenden Ausdruck zu verleihen. Die nächste Zukunft 
gehört dem Gartenkünstler, aber nur jenem Künstler, der 
frei von überliefertem Wissen aus eigenem seelischen Besitz 
heraus neue Werte zu prägen versteht, neue Werte, die im 
Gleichklang stehen zu einer unaufhaltsam sich entwickelnden 
ZEITKUNST. 
Nicht Namen, sondern Taten, nicht Begriffe, sondern Wirk 
lichkeit verlangt eine solche Entwickelung. Nicht umfassende 
Kenntnis von Namen und Begriffen, nicht praktisches Wissen 
wird dabei vorwärtshelfen, sondern jenes große Gut, das in 
uns allen mehr oder weniger lebendig wirkt — die Phantasie, 
die Empfindung. 
An diese Göttergabe in jedem einzelnen appelliere ich mit 
meinen Worten und mit meiner Arbeit und glücklich wäre 
ich, mit dieser einen weiteren aufbauenden Stein in das 
Denkmal gefügt zu haben, das von unserem Schaffen, von 
unserem Willen später Kunde geben soll. 
L.: ANSICHTEN. 
NATURALISMUS UND STIL. 
DER UNTERSCHIED: Der Naturalismus verbirgt den Stil, 
der Stil verbirgt den Naturalismus. Hier ist kein Gegensatz, 
sondern Entwicklung. Eines ist die Konsequenz des andern. 
DAS GESETZ DER NATÜRLICHEN FORM: Es ist für 
den Naturalismus durchaus verbindlich. Es liegt auch dem 
Stil zu gründe. Die Studien der Stilisten sind erfüllt von 
fanatischem Naturalismus. Der Stil enthält diesen und noch 
etwas mehr: er entwickelt aus der NATÜRLICHEN Form 
das höhere Gesetz der ORGANISCHEN Form. 
DAS GESETZ DER ORGANISCHEN FORM: Die Kraft 
und Wärme des Empfindens, das intuitive Schaffen des 
Künstlers macht das Unwirkliche wahr. „Dichterkünste“ 
nennt es Goethe. Man macht es den Stilisten zum Vorwurf, 
daß ihr Schaffen nicht die Wirklichkeit enthalte. Aber enthält 
denn der Naturalismus die Wirklichkeit? Das Schaffen des 
Künstlers bildet nicht die Wirklichkeit nach. In schön ge 
malte Äpfel, und seien sie noch so täuschend, kann man 
nicht beißen. „Das Ding an sich“ kümmert den Künstler 
nicht, er hat es nur mit seinen Impressionen zu tun. Sein 
Schaffen wird erst dann künstlerisch interessant, wenn es der 
Wirklichkeit bewußt entgegengesetzt ist. Sein Streben wird 
auf alles andere gerichtet sein denn auf die Nachahmung 
der Natur, weil er weiß, daß er sie nicht nachahmen kann. 
Wie sehr die Schönheit des Waldes in den verschiedenen 
Zuständen des Tages, wie etwa bei Sonnenuntergang, ergreift, 
der Künstler hat keine Möglichkeit, ihn darzustellen, wie er 
wirklich ist, mit der verwirrenden Fülle von Stämmen, 
Lichtern, Schattierungen, Ästen, Zweigen, Blüten, Früchten 
und Blättern in mannigfaltigster Stellung und Verschlungen- 
heit. Vor diesem Reichtum an Details steht der Künstler 
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