Internationale
$ammler2eifunjj
Zentralblatt für Sammler, üiebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: ITorbert ehrlich und 3. Hans Prosl.
3. Jahrgang. Wien, 1. Juli 1911. Hummer 13.
Bedanken über das 5ammeln.
Von fTlichelangclo freiherrn oon 2ois (Wien.)
■ underbar sind die Wege des JTlenschen. Dem
einen legte das Geschick brennenden Chrgeiz
in die Wiege, dem andern Herrschsucht, der
Dritte mufj Bücher schreiben, Bilder malen, der
andere Brücken bauen, Bäume pflanzen, oiele
sammeln, und ein jeder erblickt in dem ihm
gesteckten Cebensziele den allein münschens-
roerten, erstrebenswerten Gehalt, die Krönung
eines menschlichen Daseins. Drum ist ein jeder
der krasseste Cgoist, und begreift seine ITlit-
menschen nicht, dofj sie nicht auch für dasselbe
schwärmen, wie er.
Chrgeiz, Herrschsucht, Schaffensfreude,
Sammlergeist, alles sind Triebe, die sich auch
im primitiven manschen, ja sogar im Tiere
finden, die aber sehr ungleich zu werten sind.
Denn in dem (ehrgeizigen, in dem Herrschsüchtigen
erblicke ich einen mann, der alles auf eine
Karte, auch die Gegenwart setjt und der damit
rechnet, dafj die Gegenwart für die Zukunft
uorsorgen wird.
Der Künstler schafft neue Werte: in
seinem Schaffen liegt, wenns auch nur sich selbst und
der Gegenwart zu liebe erfolgt, doch schon ein Gedanke
an die Zukunft. Der Künstler ist Altruist, ohne es zu
wollen, denkt er an Zuschauer, Bewunderer, seine
Schöpfungen sollen nicht blofj ihn, sondern auch Dritte
erfreuen, ihnen gefallen. Der Beifall ist ihm ein Stimu
lans, das er nicht zu entbehren vermag, fine ganz
merkwürdige Stellung nimmt der Sammler ein, so dafj es
sich wohl oerlohnt, sich mit ihm und seiner Ceidenschaft
etwas gründlicher zu befassen.
Der Sammeltrieb, der Trieb gewisse Gegenstände,
deren fülle keinen praktischen Zweck mehr hat, zusammen
zutragen, rnufj einer der ältesten sein, die es gibt, denn
wie erwähnt, kommt er auch bei Tieren oor. Die diebischen
Gelüste der Raben und der Clstern lassen sich auf ihn
zurückführen, und eine Vogelart sammelt direkt muscheln,
bunte federn u. dgl., um sich daran zu erfreuen.
Kinder sammeln Abziehbilder, Tiebigbilder, An
sichtskarten, Vögel, alte federn, Zündhölzchenschachteln;
die jungen ITlädchen kaufen allerlei Tand als Ballkarten,
Bukettschleifen, Photographien, Kalender, Bänder an —
Jünglinge kleben gedankenooll marken in Albums, sortieren
Steine, ITluscheln, Pflanzen, Tiere.
Und erwachsene Teute unterhalten sich damit, Regale
mit Büchern zu füllen, horrende Preise für fiebhaberaus-
gaben zu zahlen, die Wände ihrer Zimmer mit Bildern zu
behängen, aus ihrer Wohnung ein Arsenal, eine Rumpel
kammer zu machen. Und um sich nicht oor sich selbst
zu schämen, hängen sie ihrem Tun ein wissenschaftliches
IJläntelchen um, und sprechen oon Aumismatik, Heraldik,
Ästhetik, Archäologie usw., lauter Wissenschaften, die ihren
Grund in dem Sammeltriebe des ITlenschen haben.
Solche Sammlungen nun lassen einen doppelten
Schlug auf den Sammler zu. (erstens durch den Gegen
stand, der gesammelt wird, zweitens durch die Art, den
Geist, der in denselben herrscht. Cs ist natürlich ganz
etwas anderes, wenn einer Skalpe, der andere Postwert
zeichen zu seiner Tiebe erhoben hat, oder wenn sein Herz
an Waffen oder an prähistorischen Ciefäfjscheiben hängt,
ln dem tiefsten Grunde der Seele des einen schlummert,
vielleicht, sogar wahrscheinlich unbewußt ein Abenteurer,
in der des zweiten Interesse für Reisen, in der des dritten
ein Gröberer, in der des oierten ein Wahrheitsucher, der
den Schleier oon der Vergangenheit lichten möchte. Und da
so ziemlich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, gesammelt
wird, oon Aschenschalen bis zum Zwirnfaden, so ergeben
sich schon da einige ganz hübsche Ausblicke. Die oer
mehren sich noch, wenn man auch das wie gesammelt wird,
berücksichtigt. Denn es ist nicht dasselbe, wenn einer
blofj IHünzen sammelt, einerlei, ob es antike, moderne,
europäische oder ausländische sind, oder ob er sich darauf
beschränkt, die der Cäsaren in seine Baden zu sperren
— oder die Waffen als Waffen oder als Beispiele der
Behandlung oon Aletall schätjt, oder das Gewicht auf die
Konstruktion legt. Während der Quantitätensammler, wie
ich ihn nennen möchte, nur Werte zusammenträgt, und
es mehr weniger dem Zufalle iiberläfjt, aus dem, was er
zusammentrug, einen neuen Wert zu schaffen, geht der
Qualitätssammler, wie ich ihn ungenau bezeichne, direkt
darnach aus, einen neuen Wert zu erzeugen. Denn gelingt
es ihm, das zu erreichen, was er anstrebt, etwa eine
lückenlose Reihe oon Cäsarenmünzen zusammenzubringen,
so ist der Geldwert nicht der, was ihn die verschiedenen
münzen gekostet haben, sondern ein bedeutend höherer.
Von dem wissenschaftlichen Werte gar nicht zu reden.
So berührt sich plötjlich der Sammler mit dem
Schaffenden —- mit dem Künstler, und wird oon diesem
Standpunkte aus zu einem ?aktor oon großer kultureller