MAK
Seite 180 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Nr. 12 
zwei Rivalen mit dem Rücken gegeneinander und fechten i 
diesen ruhigen, lautlosen Kampf erbittert, aber ohne sich in die • 
Augen zu sehen, aus. Der Auktionator wendet nur den Kopf 
, ach rechts und nach links, greift mit unfehlbarer Sicherheit 
jedes esoterische Zeichen auf und springt mit den Ziffern wie 
ein Automat in die Höhe: von zehn zu zehn Pfund, von 20- 
i.nd 30-Piundsprüngen zu höheren Preisen, von den Hunderten 
in die Tausende. Und dann ein kleiner Stillstand, ein Ueber- 
legen, ein weiteres Locken, ein Warnen in der Stimme, dici-, 
vier-, fünfmal wird die letztgebotene Summe wiederholt, der 
Auktionator hebt den Unterarm, weiß blinkt der elfenbeinerne 
Block in seiner Hand — dann klopft er hart und laut auf den 
Tisch auf... Flink tragen die Clerks das Geschäft in ihre 
Bücher ein, das Bild verschwindet, ein anderes wird auf das 
Gestell gehoben. Kein Wort wurde gewechselt, niemand rührt 
sich vorn Fleck, keinerlei Bewegung verrät innere Bewegung; 
und doch weiß jeder Eingeweihte hier im Saal, daß Mr. X. vor: i 
der Firma So und So Herrn Y. von der rivalisierenden Firma 
soeben ein interessantes Objekt weggeschnappt hat. 
Wenn ich von dem mannigfachen und oft mysteriösen 
Treiben dieses esoterischen Kreises, eines inzüchtigen Ringes, 
dessen Mitglieder bald hartnäckig gegeneinander, bald, wenn 
es einen Coup durchzuführen gibt, geheimbrüderlich ergeben 
miteinander arbeiten, ein bißchen unterrichtet bin, so verdanke 
ich cs dem Manne, dessen Kunstwerke eben jetzt versteigert 
wurden, Charles Wertheimer; und der Grund, warum ich diese 
Auktion besuchte, war, daß ich der wehmütigen Emotion nicht 
widerstehen konnte, wohlbekannten Objekten — Bildern, 
Möbeln, Uhren, Dosen — die ich so oft aus nächster Nähe 
als scheinbar organische 'Feile eines Wohnhauses bewundert 
hatte, jetzt in unpersönlicher Distanz aus ihrem Milieu gerissen, 
zum letztenmal zu begegnen. 
Charles Wertheimer, den Millais den größten Kunst 
kenner seiner Zeit und die erste Autorität im internationalen 
Kunstmarkte genannt hatte, dessen Rat vor Erwerbung antiker 
Werke von den Direktoren, des Britischen Museums eingeholt 
wurde und in dessen Haus die amerikanischen Multimillionäre 
die Einkäufe für ihre Galerien erwogen, lebte in seinem 
kleinen Stadtpalais in Park Lane (gleich neben Lord Burn- 
liam, dem Eigentümer des »Daily Telegraph«) wie ein Grand 
seigneur. Gewiß, er war ein Geschäftsmann und der Gerieben 
sten einer, aber er hatte — ungleich seinen Berufsgenossen 
— ein »Geschäft«, er hielt keine »show rooms« und keine An 
gestellten. Er hatte einen Sekretär und ein Faktotum und hielt 
Wagen und Pferde, Automobile und zahlreiche Dienerschaft, 
in früheren Jahren war er auf seine Pferde ebenso stolz ge 
wesen wie auf seine Bilder. Er zeigte gerne die silbernen 
Pokale, die Trophäen und Preise, die seine high steppers ihm 
errungen hatten, und wenn seine elegante junge Frau, eine 
vorzügliche Reiterin, die täglich einige Stunden lang im 
Sattel saß, auf ihrem AlItags-»Hack« bei den Horse Shows er 
schien, konnte sie allgemeiner Beachtung sicher sein. 
Charles Wertheimer pflegte mich häufig telephonisch zu 
sich zu bitten, Gewöhnlich lautete die Meldung: »Wenn Sie 
glauben, daß mein ‘ Koch Ihnen heute abend etwas Besseres 
vorsetzen kann, als Sie in Ihrem Hause bekommen, so kommen 
Sie zum Diner zu uns.« Ich ging gerne hin, wenn schon aus 
dem Grunde, weil ich absolut sicher war, stets eine erlesene 
Gesellschaft vorzufinden. Nämlich außer Mrs. und Mr. Wert 
heimer die Töchter Gainsboroughs, die Frau des Dichters 
Sheridan, Lady Anne Stanhope, Lady Sarah Bubury, Lady 
Blake, die entzückende Mrs. Delrne und sonst noch einige 
stattliche oder schelmische, majestätische oder hingebungs 
volle Damen des achtzehnten Jahrhunderts (alle von Gains- 
horough. und Reynolds gemalt) neben rotbackigen schotti 
schen Generalen in scharlachroten Waffenröcken aus der 
Meisterhand Hoppners: oder Raeburns. Dieser Speisesaal wird 
mir nie aus dem Gedächtnis schwinden. Er lag im Parterre 
und seine geöffneten Flügeltüren führten auf einen winzigen 
mosaikbelegten Hof hinaus, in dessen Mitte aus einer kleinen 
Delphingruppe ein Springbrunnen plätscherte. Der Hof war 
hoch ummauert und mit Efeu und immergrünen Gewächsen 
nmsä.ümt, denn jenseits der Mauer lag Park Lane, da fuhren 
die Motoromnibusse und flutete der Verkehr der Großstadt 
vorbei, und drüben über der Straße dehnte sich der Hyde Park 
aus. Aber wenn man die gläsernen Türen schloß, da drang 
die Stimme Londons nur als fernes, dumpfes Gemurmel in das 
stille, vornehme Gemach. An den Wänden, die mit dunkel 
karminroten Seidentapeten bespannt waren (400 Kronen der 
Meter — Verzeihung, aber ich muß in diesem Hause mit Ziffern 
belegen), hingen, von kleinen Bleiidlichtern erhellt, die lebens 
großen Porträts von Gainsborough, die, als sie vor drei Jahren 
in Berlin ausgestellt wurden, so großes Aufsehen erregten. An 
dem oberen Ende des Tisches saßen Mrs. Wertheimer, links 
von ihr ihr Gatte, rechts ich. Sie pflegte zum Diner ihre be 
rühmte Perlenkette um den Hals zu tragen, fiir die Charles 
Wertheimer 40.000 Pfund Sterling ausgelegt hatte. Aber er 
wußte, daß der Schmuck überzahlt war, und trug mir ihn 
wiederholt scherzweise mit einem Schaden von zehntausend 
Pfund zum Kaufe an. Aus großen, weitbauchigen Schalen 
ouollen Blumen über den ganzen Tisch, die zweimal in der 
Woche aus den Gärten von Cornwall gesandt wurden. Zwei 
Footmen gingen auf dem prachtvollen Savonnerieteppich, der 
65.000 Kronen gekostet hatte, lautlos herum, während der 
Butler, ein Gelehrtenkopf an Ernst und Würde, die Zeremonie 
des Mahles beaufsichtigte. Nach den Sweets verschwanden 
die livrierten Diener, der Butler schenkte noch ein letztes Mal 
den Champagner in die Gläser und stellte ein braunes Kistchen 
mit Zigarren auf den Tisch. Auf einer silbernen Tasse brachte 
ci einen Mammutzigarrenschneider neben einer Mammut- 
Schachtel mit Mammutstreichhölzern; dann verflüchtigte auch 
er sich diskret und geräuschlos. Bald darauf stand, wie es hier 
Sitte ist, die Dame des Hauses auf und verließ das Zimmer, 
und Mr. Wertheimer und ich blieben allein. Da begann er — 
deutsch zu sprechen. Mit harter, schwerer Zunge, aber mit 
sichlichem Vergnügen, daß er die Sprache seines Vaters zum 
Teil noch beherrschte. Er war schon in London zur Welt ge 
kommen, aber seine Familie kam aus Frankfurt (es sind nicht 
nur fünf Frankfurter, die in der Welt bekannt wurden), und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.