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Internationale S a m m 1 e r - Z c i t u n g. 
Nr. 20 
vorwärts schreiten und modernisieren, vermag ich nicht 
zu akzeptieren. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, 
daß wir Ritterrüstungen und die im innigen Zusammen 
halte mit ihnen stehenden heraldischen Figuren nur in 
dein Stile ihrer Zeit, sei cs: romanisch, gotisch oder 
Renaissance, nie aber im modernen Stile darstellen 
können. Es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahr 
scheinlich, daß die Ritterrüstungen, Turniere und die 
dazu gehörigen Wappen, würden sie heute noch be 
stehen, ebenfalls weiteren Zeit- und Stilumwandlungen 
unterworfen wären, sowie es tatsächlich auch damals 
der Fall war. Nun hat aber diese Ritterzeit aufgehört und 
wir müssen bei der heraldischen Kunst zum mindesten 
bis zu dieser Abschlußzeit zurückgehen. Wenn also 
heraldischer Schmuck immer seltener wird, und in den 
Fällen, wo man ihn anwendet, falsch und häßlich ist, so 
kann cs nur als ein bedauerliches Zeichen von Unkennt 
nis oder Indolenz gedeutet werden. 
In früheren Jahrhunderten haben sich nahezu alle 
hervorragenden Zeichner, Maler und Bildhauer mit dem 
Wappenwesen befaßt und es mit Verständnis zu einem 
hervorragenden Kunstzweige entwickelt. Wer kennt 
nicht die herrlichen heraldischen Kupferstiche und Holz 
schnitte unseres berühmtesten Meisters auf diesem Ge 
biete, Albrecht Dürers? Hans H o 1 b e i n, dessen 
weltberühmte Madonna in der Dresdener Bildergalerie 
noch immer Tausende von kunstsinnigen Menschen zur 
Bewunderung hinreißt, hat cs nicht verschmäht, sich 
ebenfalls mit Wappen zu beschäftigen. 
Nun und waren etwa Jost Amann, Wendel. Dittcr- 
lein, Virgilius. Solis, Lucas Cranach und viele andere 
mehr keine Künstler? Alle haben uns unvergleichliche 
Werke auch auf dem Gebiete der heraldischen Kunst 
hintcrlassen. 
Obwohl nun diesem Kunstzweige durch das ein 
gangs erwähnte Aufhören der Turniere die praktische 
Basis entzogen wurde, lebt er dank diplommäßiger 
Wappenverleihungen weiter, und zwar nicht nur in 
adeligen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen, in 
letzteren trotz der im Jahre 1818 erfolgten Sistierung 
der Ausgabe von bürgerlichen Wappen, ln der Heraldik 
liegt ein ethischer, künstlerischer Zweck, und so wie 
einst, hat auch heute noch der adelige sowie der bürger 
liche Mann den intensiven Wunsch, sein Heim mit einem 
solchen Familienzeichen zu schmücken und es _ mit Stolz 
zu führen. Es liegt in diesem Schmuck eine farben 
freudige lebendige Zierde. Was wäre in früheren Jahr 
hunderten die Kunst der Glasmaler und Graveure ohne 
die Wappen gewesen? 
Wie kräftig der Sinn für das Wappenwesen weiter 
lebt, beweist die Schweiz, wo die heraldische Kunst von 
altershcr bis auf den heutigen Tag eine eifrige Pflege 
stätte hat und wo sie sich bestens mit der Demokratie 
verträgt. 
Das gleiche können wir von der freien Stadt Ham 
burg sagen, wo jeder notable Bürger sein Wappen führt. 
Es ist bekannt, daß in Salzburg und Tirol jeder zweite 
Bauer sein Wappen hat. Auch das immer weitere Fort 
schreiten der sozialdemokratischen Bewegung kann den 
Wunsch, Familienzeichen zu besitzen, nicht eindämmen. 
Blicken wir nach Nordamerika, so finden wir, daß in der 
City ungezählte Kaufleute ein Wappen haben. Und wie 
steht es mit Deutschland? Nahezu die Hälfte der Abge- 
ordnetenmandate dieses Reiches befindet sich dort in 
den Händen der Sozialdemokratie und ungehindert 
schreitet trotzdem das Wappenwesen fort. Es zeigt dies 
eben nur, daß der Sozialdemokrat die Führung eines Fa 
milienzeichens keineswegs als aristokratisches Vorrecht 
ansieht. Es wäre höchstens zu erwägen, ob und wie man 
wohl das bürgerliche Wappen von dem adeligen unter 
scheiden könnte. 
Das ungeachtet aller Bemühungen der berufenen 
Behörden immer wieder beobachtete Aufblühen nicht 
reeller »Genealogen und Heraldiker«, welche gegen ent 
sprechendes Honorar ihren Kunden Familienwappen und 
Familienchroniken aufs Geratewohl zusammenstellen, 
beweist ebenfalls, daß der Wunsch, ein Familienzeichen 
zu besitzen, noch heute ein intensiver ist. 
Der Wappenschwindel hätte niemals solche unge 
heure Dimensionen annehmen können, wenn nicht vor 
fast 100 Jahren die Ausgabe bürgerlicher Wappen sistiert 
worden wäre. Die letztere Verfügung ist, nächst der 
früher erwähnten Ignoranz maßgebender Kreise, gewiß 
mit ein Hemmnis der weiteren Entfaltung der heraldi 
schen Kunst. 
Welch ungeheuren Aufschwung könnte die Wappen 
kunst und das Kunstgewerbe nehmen, wenn der Staat 
wiederum die Ausstellung von Wappenbriefen auch an 
nichtadelige Personen aufnehmen wollte. 
Tausende von wohlhabenden Familien würden ihre 
Privathäuser und deren Innenräume, ihre Möbel und 
Geräte mit Wappen schmücken und so der Kunst, dem 
Kunstgewerbe und (durch die Wappen Verleihungstaxen) 
dem Staate bedeutende Summen zufließen lassen. 
Der Laie oder der oberflächliche Beobachter mag 
der Meinung sein, mit dem Kopieren eines älteren oder 
Aufreißen eines neuen Wappens habe die Aufgabe der 
praktischen heraldischen Kunst ihre Grenzen gefunden. 
Dem ist aber nicht so. Wie unendlich vielseitig läßt sich 
wohl seine Kunstfertigkeit verwenden. Betrachten wir 
nur die Ahnentafeln und Stammbäume, welche außer 
den verschiedenartigsten Wappen oft allegorische Fi 
guren, Landschaften, Architektur und Porträts aut- 
weisen und dadurch schon bei den Entwürfen eine reiche 
künstlerische Phantasie und bei der Durchführung ein 
bedeutendes Können sowie eine Vielseitigkeit erfordern, 
wie wenig andere Kunstzweige. 
Umfangreich ist die Verwendung der Wappen bei 
den Entwürfen für Glasmalerei. Plastiken und Ex libris, 
besonders die letztere, jetzt wieder in voller Blüte 
stehende Kleinkunst führt ihren Ursprung auf die Blüte 
zeit der Wappenkunst zurück. Durch Jahrhunderte hin 
durch wurden im Exlibris nur Wappen verwendet und 
die alljährlichen Publikationen der Exlibris-Gesell 
schaften, welche Faksimiledrücke' solcher Blätter 
bringen, zeigen uns Reichtum der Phantasie und Kraft 
der Zeichnung. 
In den kleinen Raum des Wappens eines neu Nobi- 
litierten soll oft eine Fülle von Gedanken in entsprechen 
der und geschmackvoller Weise vereint werden. 
Welch farbenfreudigen Wandschmuck bildet nicht 
ein vornehm und stilvoll gehaltenes, mit Figuren und 
Ornament versehenes Wappen, und wie vielseitig, oft 
geradezu prachtvoll der Wappenschmuck an Gebäuden 
zu verwenden ist, zeigen uns die meisten Berliner Staats 
gebäude. Sic beweisen allerdings auch, daß man sich 
dort höherenorts dafür interessiert und die ausübenden 
Organe damit wohl vertraut sind oder sich mit ge 
diegenen Heraldikern ins Einvernehmen setzen. 
Es wäre also in erster Linie Sache der k. k. Heral 
dischen Gesellschaft in Wien, sich nicht nur ganz auf die 
wissenschaftliche Heraldik und Genealogie früherer Jahr 
hunderte zu werfen, sondern auch der künstlerischen 
Ausübung der Heraldik ihre freundliche Aufmerksamkeit 
dadurch zu widmen, daß sie durch Vorträge, kleine Aus 
stellungen und künstlerische Publikationen diese Sache 
kräftigst unterstützt. 
Es mögen des weiteren die Gelehrten sowie die bil 
denden Künstler versuchen, die Tätigkeit des praktischen
	        
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