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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 14
Kastilien« allein zwei Bände, und der kritische Apparat
zu denselben zeigt von tiefster Sachkenntnis und
wahrem Bienenfleiße.
Von Raimund sind die Einlagen in fremde Stücke
naturgemäß von höchster Wichtigkeit. Sie bilden ja die
Vorstufe zu seinem ersten Drama. Leider sind uns nur
wenige erhalten zur »Hamlet«-!’arodie, zum »Ver
wunschenen Prinzen«, zum »Gespenst auf der Bastei«.
Man findet sie in der trefflichen Ausgabe von G 1 o s s y
und Sauer abgedruckt. Neu auftauchen wird wohl
nichts mehr. Näheres hierüber wird in meiner Ausgabe
der Raimundschen Liebesbriefe zu finden sein, die im
Herbste erscheint.
Ich komme zu Nestroy, und nun muß ich, um
auf besagten Rommel zurückzukommen, von einen;
»Funde« sprechen, der vor einigen Jahren Aufsehen er
regte, und mit dem sich Rommel seither in der aufdring
lichsten Weise brüstet. Es hieß nämlich, Rommel hätte
zwei Nestroy-Stücke, »Genius Schuster und Markör«,
eine interessante Vorarbeit zum »Lumpazi«, und »Nur
keck«, eine schwache Verwandlungskomödie aus
Nestroys Spätzeit, entdeckt. Als einer der wenigen
»Wissenden« will ich diese »Entdeckung« beleuchten.
Im Jahre 1890 haben Ganghofer und Chiavacci
in zwölf Bänden an die sechzig Komödien des großen
Satirikers mitgeteilt, und zwar auf Grund der Hand
schriften, die ihnen die Schwiegertochter Nestroys zur
Verfügung stellte. Dabei haben sie naturgemäß auch die
beiden genannten Stücke gesehen, aber als niemals auf
geführt zurückgelegt, da sie durchaus nicht jede er
haltene Zeile mitteilen wollten, und ihre Ausgabe daher
auch bescheiden »gesammelte Werke« nannten. Bei der
genannten Dame hat sie nun auch Rommel gesehen. An
der »Entdeckung« der beiden Stücke, von denen ich das
erstgenannte in meine bei Hesse erschienene Ausgabe
aufgenommen habe, ist also trotz Rommels Marktschreierei
kein Sterbenswörtchen wahr. Mit demselben Rechte
könnte Saue r, der jetzt die reichen Schätze des Grill-
parzer-Archives mitteilt, von »Entdeckungen« sprechen.
Dem Schreiber dieser Zeilen sind allerdings zwei
Nestroy- Funde geglückt. In den WaJ|jshaj§§ er
sehen Theaterbeständen fand ich unter zahllosem wert
losen Materiale Nestroys in Graz 1827 aufgeführten
und seither verschollenen Erstling, den »Zettelträger
Papp«, und als ich einige Reste der Karajanschcn Biblio
thek durchmusterte, entdeckte ich das Manuskript von
»Moppels Abenteuer«. Beide Funde habe ich in einer
kleineren Arbeit zugänglich gemacht.
Bauern feld hat seinen dramatischen Erstling,
den lustigen »Magnetiseur«, bereits 1821 gedichtet. Er
ist in der »Cikade« abgedruckt, einer Zeitschrift, von
welcher die Hofbibliothek das einzige erhaltene
Exemplar besitzt.
Noch einige Worte über die Frühwerke des letzten
großen Dramatikers Oesterreichs (und ich darf wohl
auch sagen Deutschlands).
Ludwig Anzengruber hat, bevor er mit seinem
»Pfarrer von Kirchfeld« mit einem Schlage berühmt
wurde, eine Menge Stücke geschrieben, und die meisten
derselben in den Wiener Theaterkanzleien erfolglos ein
gereicht. Fast alle diese Werke sind verloren, und durch
Druck ist meines Wissens lediglich eine kleine satirische
Tiefkomödie im Stile von Bauernfelds »Republik der
Tiere« bekannt geworden, die Otto Erich Deutsch in
der »Neuen Freien Presse« mitgeteilt hat. Ein anderes
erhaltenes Frühwerk Anzengrubers führt den Titel
»Schurzfell und Glacehandschuh«; und behandelt bereits
tiefgehende soziale Konflikte.
Gemälde aus der Kollektion Guggenheim.
Von Dr. Georg Lill (München).
Den umfangreichsten und wertvollsten Teil der Be
stände des Signor Guggenheim im Palazzo Balbi, die
im Erühherbst unter der Leitung von Hugo H e 1 b i n g
(München) in Venedig zur Versteigerung gelangen,
machen unstreitig die alten Oelgcmäide aus. Fast aus
schließlich den italienischen Schulen angehörend,
dominiert selbstverständlich unter ihnen die venetianische
Schule. In den nachfolgenden Zeilen sollen die haupt
sächlichsten Gemälde hervorgehoben werden, deren Zu
schreibung nach den Angaben des in der italienischen
Kunstgeschichte sehr kenntnisreichen Herrn Guggen
heim geschieht.
Beginnen wir der Bedeutung entsprechend mit der
venetianischen Schule. Abgesehen von einigen
kleinerep Werken der Schulen von Venedig und Murano
aus dem Trecento und dem Quatrocento, ist das früheste
wertvollere Bild von Bart. Vivarini (1425—1499,
Fig. 1). Es zeigt nicht mehr die etwas herbere Art der
Mnranesen, sondern ist schon aus der späteren Zeit des
Meisters, in der er sich mehr und mehr an die alles über
ragende Kunst Gianbellinis angeschlossen. Jene fried
volle, beseligende Kirchenstille, vom Lärm und Streit
der Straße unberührt, ruht auf dieser Madonna, die so
heiter und glücklich vor dem grünen Teppich ihr gött
liches Kind anbetet.
Aus der folgenden Generation ist an erster Stelle
Tizian (1477—1576) zu nennen. Ihm wird ein stillvor
nehmes Biid eines Gelehrten, eines Arztes Antonio
Caprian aus Mantua, zugeschrieben (vgl. Eig. 2). Er sitzt
in einem Lehnstuhl und blättert im Hippokrates. Es ist
ein sehr qualitätvolles Bild. Tizians Vetter, Cesare
V e c e 11 i o (1521-1601), ist mit einem tüchtigen Porträt
eines ernstblickenden, schwarzbärtigen Mannes ver
treten. Bedeutender noch ist Paris Bordoiies (1500
bis 1571) Porträt Papst Gregors XII., jenes Papstes, der
nur einen Monat regierte (Fig. 3). Müde sitzt der alte
Mann in seinem Lehnstuhl. Trotz alledem hat das Bild
jene wundervolle, repräsentative Haltung, die den Staats
bildern des Tizian-Kreises eigen ist. Das prachtvolle
Purpurrot des Schultermantels klingt vortrefflich mit
dem grünblauen Ton des Vorhanges zusammen, und
einen ganz eigenartigen Gegensatz zu dem lebenswahr
erfaßten Mann bildet die stille Landschaft an der Wand.
Gehen wir ein Lebensalter weiter. Von den beiden
großen Meistern dieser Zeit finden wir Paolo
Veronese (1528—1588) mit einer eindrucksvollen Be
weinung Christi, der Leichnam von zwei Engeln ge
halten. Sehr dekorativ repräsentiert sich sein Porträt
einer vornehmen, älteren Venetianerin in grünem Seiden
kleid. Der große Tmtoretto (1538—1594) bringt das