MAK
Nr. 21 
Internationale Sammler-Zeitung;. 
Seite 317 
von einem Kopisten herrührend. Auf dem Umschläge 
stand: »Christina regina die Svezia«. Cs war die volle 
Orchesterpartitur einer Oper mit eigenhändig unter die 
Notenzeilen geschriebenem italienischen Texte, im ganzen 
etwa 700 Seiten stark. Kein Autor war angegeben, doch 
erinnerte mich die Schrift an Thalberg oder Liszt. 
Ich kaufte die Bände um einen Pappenstiel und bald stellte 
sich heraus, daß ich die einzige und nie gedruckte Nieder 
schrift einer in Wien unter Herb eck ein einziges Mal 
aufgeführten, aber erfolglos gebliebenen Oper Sigismund 
Thalbergs, des berühmten Klaviervirtuosen, vor mir 
hatte. 
Da kommt mir auch jener Fund ins Gedächtnis, bei 
welchem ich freilich teilweise um einen Tag zu spät kam. 
Als ich einmal die »Makulatur« besuchte, standen fünf 
oder sechs, mit Spagat fest zusammengebundene und 
etwa einen halben Meter hohe Konvolute von Manu 
skripten vor mir, die ich, wie der Wiener Fachausdruck 
lautet, »ung’schauter« in Bausch und Bogen mit zwei 
Kronen bezahlte. Zu Hause angelangt, fand ich, daß ich 
einen Teil des ganzen Nachlasses von Johann Bapt. 
Rupprecht gesichert hatte. Rupprecht war ein 1842 in 
Wien verstorbener und sehr bekannter Schriftsteller, 
Botaniker und auch k. k. Bücherzensor. Grillparzer 
und Saphir haben sich über ihn in ihren Gedichten, die 
Rupprecht häufig berotstiftet hatte, weidlich lustig 
gemacht. Und da entwickelte sich nun aus diesen alten, 
aber säuberlich geordneten Papieren eine ganze Auto 
graphensammlung aus der Biedermeierzeit. R u p p- 
rechts Korrespondenz mit Bauernfeld, Var ti 
li a gen von Ense, mit Bäuerle und dessen Gattin, 
der Schauspielerin Ennöckel, viele Gedichte von ihm 
selbst und von seinen Zeitgenossen, darunter manches 
Wertvolle und Nichtpublizierte, ein unbekannter Aufsatz 
Fig. 3. Gauermann, Die beendete Hirschjagd. 
über Sebastian Grün er s Beziehungen zu Goethe in 
Karlsbad (den ich in der »Chronik des Wiener Goethe- 
Vereines« veröffentlichte), viele Kuriosa und längst ver 
griffene Sonderabdrücke und Zeitungsblätter, eine unbe 
kannte Federzeichnung Kinin gers, des Schab- 
künstlers, die Kopie eines Briefes, den Rupprecht an Lord 
B y r o n nach Italien geschrieben hatten, und von welchem 
auch die Memoiren des englischen Poeten berichten 
(Byron erzählt dort von einem Rupprech t, der sich 
an ihn wandte). Und doch kam ich, wie erwähnt, um einen 
Fig. 4. Holder, Gräfin Rhedey. 
Tag zu spät, denn als ich meinen Makulaturhändler fragte, 
ob er noch derlei Handschriftliches besitze, erwiderte er: 
»Am Tag, bevor Sie gekommen sind, sind zehn solche 
Stöße in die Stampfmühle gegangen.« O, diese Stampf- 
mühle! Wieviel mag sie schon Kostbares verschlungen 
haben, um vielleicht Schreibpapier oder Buchhaltungs 
blätter aus hohen Geistesprodukten umgeschaffen zu 
haben. 
Erste Ausgaben von Nestroy, Handzeichnungen 
von R a n f 11 und E n d e r, äußerst seltene Flugschriften 
aus der Sturmzeit des Jahres 1848, verschiedene Goethcana 
habe ich ausgegraben, und einmal fand ich einen Teil des 
Bestandes des Archives des alten Josefstädter Theaters 
mit Manuskripten von Altwiener Dichtern und Schau 
spielern. Da lag ein Drama von der Johanna Weißen 
thur nt neben einem Regiebuch des Direktors 
P o k o r n y aus den Dreißigerjahren, und dann war cs 
wieder einmal eine komplette Serie der Werke von 
Gr äff er, die heute so teuer bezahlt werden, wenn man 
ihnen auf dem Wege des Buchhandels nachjagt. 
Nun will ich aber noch ein humorvolles Erlebnis er 
zählen, das mir ein sehr gesuchtes und sonst teueres Opus 
um eine Krone verschaffte. Ich sah in einem Winkel der 
unterirdischen Papierkatakomben vier prächtig in Halb 
franz gebundene Bände, las auf dem Rücken 
»Mommsen, Geschichte des römischen Kaiserreichs« 
und die Bezeichnung der Bände 1, 2, 3 und 5. Ich fragte 
den Makulaturchef, was die Bände kosten. Er antwortete 
betrübt: »Ja, leider ist das Werk unvollständig. Wie Sic 
sehen, fehlt ia der vierte Band. Wenn’s ganz wäre, könnt’ 
man schon was dafür verlangen.« Nun muß man eben als 
Büchermensch wissen, daß Mommsen den vierten Band 
n i e geschrieben, daß er auf den dritten den fünften folgen 
ließ und das Gesamtwerk mit den unterbrochenen vier
	        
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