Internationale
Sammlei^eifunj
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
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12. Jahrgang. Wien, 1. September 1920. Nr. 16.
Pergament-Manuskripte.
Die Zahl der Pergamentmanuskripte, die nicht
in festem Bibliotheksbesitze ist, wird immer kleiner,
und cs ist darum sehr «erstaunlich, welche Fülle der
artiger Schätze das Antiquariat Paul Graupe in Ber
lin zusammenzubringen vermochte. Sein neuester
Katalog (Nr. 93), der den Erwerbungen auf diesem
Gebiete gewidmet ist, umfaßt 267 Nummern, wovon
nur ein Bruchteil auf Inkunabeln und Holzschnittwerke
fällt. Der Großteil sind Pergamentmanuskripte. Das
wertvollste ist ein lateinisches Pergamentmanuskript
der französischen Schule vom. Ende des 15. Jahrhunderts
mit französischem Kalendarium. Es ist In gotischer
Schrift, schwarz und rot, sauber und regelmäßig ge
schrieben. Die letzten acht Blatt weisen auf eine andere
Hand, doch wohl aus der gleichen Zeit. Die Zierseiten
sind dreirandig von vielfarbigen, .goldgehöhten Bor
düren aus Ranken, Blattwerk, Blüten und Früchten
gerahmt, sieben davon mit fast ganzseitigen Minia
turen geschmückt, die folgende Darstellungen ent
halten :
1. Verkündigung: Maria, in blauem Gewand
mit goldenem Heiligenschein, der Engel im weißen
Unter- und w ? einrotem, graugefüttertem, goldver
brämtem Obergewand mit hellroten Flügeln. Fußböden
hellgrün, Betpult hellrot mit hellgrünem, dunkelrot
gefüttertem Vorhang. Hauskapellenarchitektur mit
Bogenabschluß und Fenstern. Im Hintergrund ein
blaues Tuch gespannt.
2. Die Heilige Martha, auf einem Drachen
reitend, gefolgt von einer Frau. In bäum- und wiesen
reicher Landschaft mit einem Schloß und einer Stadt
im Hintergründe.
3. Eine Heilige in blauem Gew T ande mit einem
goldenen Palmzweige in der Hand, neben ihr kniet,
anbetend, ein schwarzgekleideter Geistlicher. Die Szene
spielt in dem Vorhof eines Schlosses. Architektur gelb,
Fußboden hellgrün, Abschlußvorhang weinrot.
4. Anbetung des Kindes. Maria in Blau, vor
dunkelrotem Vorhang, Josef in Schiefergrau, Weiß,
Weinrot und Hellgrün, Stallwand blaugrau, Landschaft
im Hintergründe.
5. König David im Gebet. Blaugeklcidet in
hermelingefüttertem Purpurmantel. Hellgrüner Fuß
boden, dunkelroter Abschlußvorhang, landschaftlicher
Hintergrund mit befestigter Stadt... Gottvater in den
Wolken.
6. Christus am Kreuz mit Maria und Johannes.
Im Hintergründe der Landschaft die Stadt Jerusalem.
7. Trauergottesdienst. Die in weiße Tücher
eingenähte Leiche wird von einem, blau und einem rot
gekleideten Mann ins Grab gelegt. Zwei Geistliche in
reichen Meßgewändern, begleitet von einem Chor
knaben und betenden Mönchen, halten den Gottesdienst
ab. In den Lüften streiten ein Engel und ein Teufel
um die Seele des Toten. Auf dem grünen Gottesacker
ein rotes Holzkreuz, graue Friedhofsmauer, hellrote
Kapelle, landschaftlicher Hintergrund.
Außer diesen großen Miniaturen befinden sich am
Anfang des Manuskriptes vier halbseitige Darstellungen
der Evangelisten mit ihren Attributen, darunter ein
Johannes auf Patmos, dem sich heimlich von hinten
ein Teufel nähert, in einer schönen, perspektivisch
hervorragend gezeichneten Landschaft. Die übrigen
Zierseiten enthalten große Initialen, zwei davon mit
figürlichen Darstellungen: Pieta und Maria mit dem
Kinde. Außerdem zahlreiche Initialen verschiedener
Größe und Zeilen zier stücke im Text, in Blau, Rot,
Weiß und Gold. Das Manuskript ist auf geschmeidigem,
breitrandigem Pergament geschrieben und sehr, gut
erhalten. Einband mit interessanter Stempelpressung,
Rücken und Ecken erneuert.
Auf dem ersten Blatt Eintragung Von alter Hand:
,,cy sont les'heures qui furent a damm.c Katherine de
bernieres en son vivant femme de pierres de möges
escuyer Seigneur de buron et dumesnilougrin.“ Die
Rückseite dieses Blattes enthält Notizen, die sich auf
verschiedene Besitzerinnen des Gebetbuches beziehen,
mit den Jahreszahlen 1517, 1539, 1576 und 1602.
Von den anderes Livres d'Heures möchten wir ein
lateinisches Pergamentmanuskript derselben Schule
und Zeit, mit lateinischem Kalendarium hervorheben,
das 23 Miniaturen, 6 Prunk- und viele mittlere und
kleinere Initialen in Blau, Rot und Gold enthält.
Ein Prachtstück stellt auch ein flämisches Psal-
terium aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
dar. Der Text dieses wundervollen Manuskriptes und
des Kalendariums ist mit einer schönen schwarzen
Tinte in gotischer Schrift auf Pergament geschrieben,
mit reicher Rubrizierung großer und kleiner Initialen
in Rot und Blau. Es ist mit 19 farbenprächtigen gold-
gehö.hten Initialminiaturen geschmückt, davon 6 mit
figürlichen Darstellungen, 13 mit ornamentalen Ver
zierungen, umgeben von einer reichen, fein ausgeführten
Bordüre. Einige dieser Miniaturen sind zu den Meister
werken der flämischen Kunst überhaupt zu zählen.
Besonders bemerkenswert: Die. erste Miniatur, die den