thumes nicht mehr unbedingte Geltung hat, dass an Stelle der einheit-
lichen transcendentalen Anschauung Zerfahrenheit getreten ist, das zeigt
sich uns sofort, wenn wir die Denkmäler und ihre Formen betrachten.
Wir schreiten durch lange Gassen, in denen sich Obeliske an Obeliske
reihen, verschieden unter einander nur durch Größe, Farbe und Material;
an anderen Stellen stehen friedlich neben einander die schlanke palmetten-
gekrönte Stele der Griechen, der Sarkophag und Cippus der Römer, die
mit einem Baldachin überwölbte gothische Tumba, die abgebrochene
Säule des Empirestiles, der naturalistische Felsblock der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts; in den Arcaden das deutsche Epitaph des huma-
nistischen Zeitalters, der Typus der florentinischen Renaissance, die Altar-
form der Barocke und die Pyramide des Classicismus. - Kurz alle Grab-
formen, die je in verschiedenen Zeiten und Stilen üblich waren, sind auf
unseren Friedhöfen vertreten. Nun, die Erscheinung, dass die Kunsttypen
vergangener Zeiten und Stile entweder direct übernommen werden oder
wenigstens das Grundmotiv liefern, bestimmt ja auch den Charakter der
modernen Architektur und des modernen Kunstgewerbes. Lehrreicher und
unmittelbarer jedoch als bei diesen Kunstgebieten zeigt sich in dem Chaos
auf den Friedhöfen ein Spiegelbild des modernen Lebens, seines Ver-
hältnisses zur Religion und Kunst. Aber es ist nicht nur das Ganze eine
Illustration des Empfindens und der Anschauungen unserer Zeit, es ist
auch die Einzelerscheinung, das einzelne Grabmal weitaus bezeichnender
für die ganze Individualität des Einzelnen, seine Weltanschauung, sein
Gemüthsleben, seinen Charakter und sein Verhalten zur Kunst als in
früheren Zeiten, wo die Grabmäler sowie die Gedanken über transcen-
dentale Fragen eine weitaus größere Familienähnlichkeit aufweisen.
In der bunten Mannigfaltigkeit unserer Grabmäler ist die Dominante
der Obelisk, die Negation jedes künstlerischen Gedankens, die starre
geometrische Formel, die auf jeden Schmuck verzichtet. Es wäre sehr
gefehlt, seine Beliebtheit einfach auf seine relative Billigkeit gegenüber
künstlerisch ausgeführten Grabmälern zurückführen zu wollen, sie ist
vielmehr in tieferliegenden Gründen von culturgeschichtlicher Wichtigkeit
zu suchen. Mit seiner neutralen Form ist der Obelisk das geradezu ideale
Grabmal für glaubenslose oder religiös indirferente Menschen. Wünscht
der Verstorbene sich weder in confessioneller Beziehung zu compr0mit-
tiren, noch der Kirche gegenüber Aergerniss zu geben, so genügt ein
kleines Kreuz und verkündet den Ueberlebenden, dass der Dahingeschie-
dene es vorzog, im Leben den weisen Mittelweg einzuschlagen. Dem-
jenigen aber, für den die Ueberzeugung feststeht, dass der Tod die voll-
ständige Vernichtung des Daseins bedeute, erfüllt die nichtssagende geo-
metrische Formel mit ihrer Schweigsamkeit und Verschlossenheit voll-
ständig ihren Zweck, wenn sie die Stelle bezeichnet, wo er begraben liegt;
darüber hinaus verlangt er nichts, weil ihm dem Ernste des Todes gegen-
über Alles weitere als Lüge erscheinen würde.
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