Fundamente der Wissenschaft
Zwei wichtige Neuerscheinungen
zur Kunst vum 1900:: in Wien
Otto Wagnerwar der Meinung, daß nur wder Baukünstler allein
in seiner glücklichen Vereinigung von Idealismus und Realis-
mus aus der Zweckform die Kunstlorm schaffen kannu. In einer
Zeit wie der unseren. in welcher alle und jeder sich berufen füh-
len, über Architektur - oder was sie darunter verstehen -
möglichst wortreiche Meinungen abzugeben, sollte solch ein
Satz doch zu denken geben. Dies umso mehr. als nun ein wichti-
ges Buch innerhalb derbereits reichhaltigen Literatur überOtlo
Wagner erschienen ist'. das an Hand von Fotos. zeitgenössi-
schen Abbildungen, Beschreibungen und Entwurfszeichnun-
gen die von Wagner geplanten und verwirklichten Innenräume
und Einrichtungsgegenstände untersucht. Dazu werden außer-
dem schriftliche Quellen wie Manuskripte. Briefe und Doku-
rnentesowiebisherunpubliziarteTailedesWagner-Nachlasses
verwendet, wodurch vielfach neue Zusammenhänge eröffnet
und Beweislücken in der Wagner-Forschung geschlossen wer-
den können.
Paul Asenbaum und Reiner Zettl haben den Hauptteil des
Buches erarbeitet: In einem Textteil von 23 Seiten inlormieren
sie eingehend über vDie Möbeln, von denen Hauptbeispiele aul
16 Farbtafeln vorgeführt werden; der anschließende vKatalogv
beschreibtausfuhrlich Die Wohnung Heckscher, Die erste Villa
Wagners. Das Wohnhaus Rennweg 3, Beispiele für die Innen-
ausstattung der Wiener Stadtbahn, Die Vitrine der Firma Klin-
kosch auf der Jubiläumsausstellung 1898. Die Wohnung Köst-
lergasse 3. Die Pariser Weltausstellung 1900, Das Depe-
schenbüro nDie Zeiti. Den Neubau der Österreichischen Post-
sparkasse, Die Kirche Am Steinhoi, Die Wohnung Dübler-
gasse 4, Den Zubau zur Postsparkasse und die zweite Villa Otto
Wagners. Voangestellt sind ein Vorwort von Julius Posener,
Peter Haikos instruktiver Beitrag iiOtto Wagners lnterieurs -
Vom Glanz der franzdsischen Könige zur Ostentation der
modernen Zweckmäßigkeitw und dann Herbert Lachmayrs
Essay nModernität und Fortschritt bei Otto Wagnerl.
Lachmayrkennzeichnetzwar.wasmirwenigsinnvollerscheint,
die historislischen lnterieurs Wagners durch Zitate von Walter
Benjamin und Adolf Loos, alsovon erklärten Gegnern des Histo-
rismus. Trotzdem machen nicht nur Lachmayrs höchst lesens-
werter Beitrag. sondern auch die anderen Texte und vor allem
die subtile Forschungsarbeit von Paul Asenbaum und Reiner
Zettl deutlich, daß es Otto Wagner primär um eine funktions-
tüchtige, gestallerisch befriedigende Lüsung der Probleme
ging. weniger um ökonomische oder soziale Erneuerungen,
Auch iäßt Wagners späteres Verhalten zum Historismus wie
zum Secessionismus ihn bei aller Heftigkeit seiner (in r-Die Bau-
kunst unserer Zeitu vorgetragenen) theoretischen Ansprüche
in der Praxis als einen eher vorsichtig Handelnden erkennen.
Der Übergang vom Historismus zur Moderne, der sich beim
lnterieur und bei den Gegenständen des täglichen Gebrauchs
amunmittelbarstenvcllzieht,istinallenseinen Detailszuverfol-
gen und macht das vorzüglich ausgestattete Werkzu einem tat-
sächlichen Handbuch.
Gustav Klimt galt und gilt vielen wie ein Leitbild. Seine Haltung
als Künstler, als welcher er ohne jeden Kompromiß, ohne jede
Konzession an den Allerweltsgeschmack sein Leben lebte.
Künstlerschicksale gibl es in manchen Varianten. Klimt [SOOCH
rnußte einen seltenen Weg gehen, der mit enthusiastischer
Anerkennung durch die Öffentlichkeit begann und der dann den
Bruch mit dieser Olfentlichkelt. das Unverständnis der höch-
stenSchichlenwiederbreitesten Bevölkerung, zurFolge hatte.
Zwar wäre es einmal sehr reizvoll. den künstlerischen Ge-
schmack jener Gesellschaltsschichten des 20. Jahrhunderts
zu untersuchen. die stets lauthals ihr Interesse für bildende
Kunslbezeugen. Abereswareriln erster LinieKlimtsspäte Blät-
ter, die zur Begründung seines Weltruhms als Zeichner beige-
70