MAK
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Paul Neagu, Gradually Going Tornado (Nach und nach zum Wirbelsturm werden), 
Arnolfini Gallery, Bristol, März 1976 
XI. Unverfälschte Freude 
Und was ist mit der unverfälschten Freude? Sie ist mein: rein 
und unzerstörbar, habe ich sie den Künstlern zu verdanken, 
die mit Hilfe ihrer Körper das Sehen neu definiert und uns 
gezeigt haben, wie unentbehrlich Kunst für die qualitative 
Substanz und die Bedingungen jedes einzelnen Lebens 
aspektes ist. »I love what l'm...« schrieb Jim Dine in seinem 
Happening The Smiling Workman (1960), trank die Farbe aus, 
mit der er gerade geschrieben hatte, und krachte durch das 
Papier, auf dem die Worte standen. Dines Worte und 
Handlungen veranschaulichen den Glauben an das Ich als 
Subjekt - »I love what I am« und zeugen gleichzeitig von 
einem tiefen Verständnis der Beziehung zwischen der 
Subjektivität und den Objekten, die das Subjekt ermöglichen 
und konstituieren. 
In meinem Aufsatz habe ich in zahlreichen Beispielen 
beschrieben, wie sich die »Wut« über die Conditio humanae 
am Körper und seinen Objekten präsentiert und repräsentiert 
hat. Dieser Zorn ist Bestandteil einer Welt nach dem Holo 
caust und nach der Atombombe, einer postbiologischen, 
postmodernen Welt, die nicht nur die alten Bürden von 
Sexismus und Rassismus, Klassengesellschaft und ethni 
schen Trennungen mit sich trägt, sondern auch die neuen 
»post«-humanen Lebensbedingungen. Aktionskunst ist eine 
ästhetische Arbeitsweise, die vor allem die bedrohlichsten 
und beglückendsten Bedingungen menschlicher Erfahrung 
darstellt. Wenn ich Aktionen und Aktionsobjekte als Kommis 
suren bezeichnet habe, ausführlich über die artefaktische 
Eigenschaft von Objekten geschrieben und vorgeschlagen 
habe, Aktion zum Objekt werden zu lassen - so geschah all 
das in der Absicht, den Leser/die Leserin davon zu überzeu 
gen, daß der tiefen Poesie und Ausdruckskraft der Aktions 
kunst die seltsame Frage nach den Beziehungen zwischen 
Subjekten und Objekten zugrunde liegt, und wichtiger noch, 
den Beziehungen menschlicher Subjekte untereinander. 
Aktionskunst ist eine so schwierige Kunst, weil sie diese 
Intersubjektivität - dieses Hyphen - verkündet, einen 
Zwischenraum, den diese Künstler identifiziert und ins 
214 Mark Boyle, Journey to the Surface of the Earth: Mark Boyie’s 
Atlas and Manual, Köln - London - Reykjavik 1970, o. S. 
* Paul Schimmel und Russell Ferguson möchte ich dafür danken, 
daß sie an meine Arbeit geglaubt haben. Mein Dank gilt auch Diane 
Aldrich, Kim Cooper und Linda Genereux für ihre unschätzbare 
Mitarbeit und Mark D. Hasencamp, der mich bei den Recherchen 
zu dieser Arbeit tatkräftig unterstützt hat. Mein größter Dank jedoch 
gebührt meinem Mann Edward Allen Shanken, der dieses 
Zentrum unserer Aufmerksamkeit gerückt haben, indem sie 
uns in einen Dialog verwickeln, der bedrohen, abstoßen, 
erschrecken oder verführen kann - auch dann, wenn sie 
etwas lehren und erklären. 
In diesem Sinn sind Aktionskünstler, wie es Mark Boyle im 
August 1967 schrieb, »die Fühler des vielzelligen Organismus 
namens Menschheit«. Weiter erklärte er, solche Menschen 
seien »mehr Sensoren als Künstler, mehr Empfänger als Über 
mittler«. Indem er den Akt des Empfangens betonte - nicht 
durch den Betrachter, wie üblicherweise angenommen, son 
dern durch den Künstler -, drückt Boyle eine bedeutende 
Umkehrung jener Subjekt/Objekt-Beziehung aus, die in der 
traditionellen Kunst verankert ist. Ich habe die Theorie aufge 
stellt, daß diese neue Beziehung auf eine Verstärkung der 
metaphorischen Fähigkeiten herkömmlicher statischer Kunst 
formen durch die kommunikative Funktion von Metonymie 
zurückzuführen ist, in der Künstler als »Empfänger« erfahrene 
Erfahrungswelten visualisieren, indem sie sich mit dem ver 
bunden zeigen, was die Gesellschaft selbst vermittelt. 
Solche Künstler »erweitern unsere Fähigkeit«, die Welt auf 
neue, andere Weise »in uns aufzunehmen«, so Boyle. Und in 
diesem Prozeß machen sich Künstler, die mit Aktionen arbei 
ten, zunehmend »überflüssig«. Überflüssig, wie Boyle 
abschließend erklärt: 
DANN WENN WIR DAZU IMSTANDE SIND WERDEN WIR 
NUR NOCH EMPFINDSAME WESEN SEIN VÖLLIG 
UND IMMER ALLEM GEÖFFNET 
OHNE DIE FILTER PSYCHOLOGI 
SCHER SCHOCKBARRIEREN ODER DIE 
VERDREHUNGEN VON INTELLIGENZ ODER 
DROGEN DANN WERDEN WIR ENTDECKEN WIEVIEL 
REALITÄT DIE MENSCHHEIT ERTRÄGT.^'^ 
Die alte Frage bleibt bestehen: Wieviel Realität können wir 
ertragen? Wie auch immer die Antwort iauten mag, die 
Aktionskünstler haben mehr Realität empfangen, vermittelt 
und dargestellt, als wir vor ihren Aktionen kannten. Sie haben 
neue Welten geschaffen, neue Kosmologien menschlicher 
Erfahrung. 
Manuskript immer wieder gelesen, redigiert und mit mir diskutiert 
hat und für mich kochte und putzte, kurz, sich während des schier 
endlosen Reifeprozesses dieser Arbeit um mich und den Haushalt 
kümmerte. Seine treue Unterstützung kann ich ihm nur mit meiner 
Liebe danken. Dieser Aufsatz ist einem weit umfangreicheren 
Manuskript entnommen, das als Buch bei University of California 
Press erscheinen wird.
	        
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