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kann. Wir bemerken dieses nicht ohne Absicht. Seit einigen Jahrzehnten
wurde nämlich besonders in Deutschland die Anschauung beliebt: das
eigentliche für die kirchliche Tradition maßgebende Alterthum sei das
Mittelalter. Es wird mittelalterliche Kunst mit kirchlicher Kunst vQllig
identisch gebraucht. Allerdings die bequemste Lösung unseres Problems,
von welchem Versuche wir freilich glauben, dass hiedurch die künstle-
rische Freiheit in Einseitigkeit verwandelt und ihre Gesetzmäßigkeit auf
Willkür gegründet werde. Letzteres deshalb, da sich die erwähnte schrolfe
Stilwahl auf keine geschriebene oder ungeschriebene kirchliche Entschei-
dung stützen kann. Auch das Mittelalter hat in seinen, durchaus nicht
zufälligen Formen seine Traditionen beachtet und hat diese selbstver-
ständlich aus einer vorausgegangenen Zeit als deren ehrwürdige Reliquien
überkomrnen. Nach einem richtigen Worte Springers war das Mittelalter
antiker als die Renaissance. Und so wie wir durchaus nicht jede Cultur-
form des Mittelalters für eine ideale oder allgemein berechtigte halten
können, wüssten wir auch keinen Grund, die mittelalterliche Kunstform
schon an sich über jede andere zu setzen. Bei aller Anerkennung ihres
individuellen Schönheitsgehaltes kann sie einer Praxis von anderthalb-
tausend Jahren gegenüber doch nicht als ausschließlich kirchliche und
einzig berechtigte Kunst gelten!
Wir sehen allerdings gleich hier, dass der Begriff der Tradition an
sich zu schwankend wäre, wenn wir allein auf diesen uns angewiesen
fänden. Doch sind auch schriftlich fixirte Gesetze für die liturgische Kunst
vorhanden. Sie finden sich zum großen Theile in den mehr systematisch
angelegten Ritualbüchern der Kirche in Missale Romanum, im Pontißcale,
Caeremoniale episcoporum und in den betreffenden Ritualien der römischen
wie der außerrömischen Diöcesen. Verstreut in diesen Büchern vorzu-
finden, folgen sie oft weniger zahlreich als wünschenswerth der An-
ordnung nach Materien oder gottesdienstlichen Functionen. Eine andere
Gruppe dieser Codificationen sind die Concilsbeschlüsse für die Gesammt-
kirche oder für kirchliche Provinzen. Ich nenne für uns besonders das
Provincialconcil von Wien und Prag, sowie das zu hoher Autorität ge-
langte 4.. Mailänder Concil des hl. Karl Borromäus mit dessen lnstructio
fabricae et supellectilis ecclesiae, oder es sind Entscheidungen der Con-
gregatio Rituum in Rom. Durch diese eigens für solche Zwecke eingesetzte
Ritencongregation spricht die päpstliche Autorität, also die des obersten
liturgischen Gesetzgebers für die Gesammtkirche. In den einzelnen Diö-
cesen haben die Bischöfe das liturgische Recht zu vertreten, soweit da-
durch die Allgemeinbestimmungen nicht beeinträchtigt werden. Sonstige
von Privaten, von Gelehrten wie Künstlern, auch einzelnen Geistlichen
ausgesprochene Ansichten oder Forderungen wollen freilich oft als all-
gemein kirchliche Norm gelten, haben aber nur den Werth der betref-
fenden Autorität oder der dafür erbrachten Beweise und genau citirbaren
Belege.