Ni. 13
Internationale Sammler-Zeitung.
Seite 201
Autographensammler, auch wenn sie keine eigen
händige Zeile Goethes besitzen, werden sich die Szene,
die nun folgte, lebhaft vorstellen können, auch wenn sie
Freytag nicht schildert. Die Freudentränen, unter denen
Hirzel sicherlich seinen hochherzigen Gastfreund um
armte, werden wohl die Erinnerung an die bis dahin er
littenen Tantalusqualen verlöscht haben. Damals ahnte
wohl Hirzel, der seine Goethe-Sammlung nicht als Buch
händler, sonder als Amateur schätzte, nicht, daß das Ge
schenk seines gelehrten Freundes schon in einigen Jahr
zehnten ein Vermögen repräsentieren werde . . .
Eine Sammlung eigenhändiger Goethe-Briefe!
Goethes sämtliche in Druck erschienenen Werke
werden wohl genugsam gewürdigt und es gibt Ausgaben,
die teuer genug sind, aber ein echter Autographen
sammler wäre vielleicht imstande, auch die teuerste
gegen eine — un gedruckte Zeile von Goethe ein
zutauschen.
Chronik.
Bibliophilie.
(Die Bücherei Bodo E b h a r d t s.) Unter den von
Privatsammlern für die Internationale Ausstellung für Buchge
werbe und Graphik in Leipzig zur Verfügung gestellten
Büchern fallen zwei unfangreiche Sammlungen aus der Bücherei
des Architekten Bodo E b h a r d t (Berlin) auf. In der mittel
alterlichen Abteilung ist eine Sammlung von wertvollen illu
strierten Werken des 16. Jahrhunderts ausgesteift. Neben klas
sischen Architekturwerken stehen hier auch vier verschiedene
Ausgaben der »Zehn Bücher von der Architektur« des
V i t r u v,i u s, des großen römischem Baumeisters aus der Zeit
des Augustus. Weiter seien erwähnt das prächtige Kupicrstich-
werk von Le Roy über Burgen und Schlösser von Brabant,
die Werke über italienische Befestigungskunst der Renaisance von
I.orini und F 1 o r i an i, sowie die naive Historische Chronik
von J. P, Abel in, 1630 bei Merian in Frankfurt gedruckt,
mit prächtigen Kupferstichen. In der neuzeitlichen Abteilung
findet man drucktechnisch wie inhaltlich hochinteressante
italienische Werke des 18. bis 19. Jahrhunderts, vorherrschend
über Architektur, doch auch eine Reihe von Geschichtswerken,
die der Künstler zu den Forschungen für sein großes Werk über
die Burgen Italiens gesammelt hat.
. (P o s t ti iu m o u s P a p e r s o f t h ePickwickCIub.)
Bei Sotheby in London erzielte am 26. Mai eine komplette
Serie der »Posttamotus Papers of the Pickwick Club«, in
20 Heften, den enormen Preis von 495 Pf. St, Bisher hielt der
in Amerika erreichte Preis von 286 Pf. St. den Rekord. Was
das bei Sotlheby verkaufte Exemplar so rar und wertvoll
machte, war der Umstand, daß es in jeder Beziehung voll
kommen war und noch die lose eingeschalteten Inserate von
Henekys Cognac, Rowlands Preparation u. s. w. enthielt.
(Bibliotheken für Kinde r.) Europa steht im
Begriff, eine der interessantesten Formen amerikanischen
Bibliothekswesens nachzuahmen: die Bibliothek für Kinder.
In England haben die Gemeinden von Chelsea und Croydon
diesen Weg bereits beschritten, in Holland wurde soeben ein
Verein begründet, der dasselbe Ziel verfolgt, und das letzte
Budget des spanischen Unterrichtsministeriums sieht bei allen
neu zu errichtenden Bibliotheken die Angliederung besonderer
Kinderbüchereien vor. Das Vorbild dieser Anstalten ist die von
Carnegie in Pitts bürg eingerichtete große Bibliothek
für Kinder, die über 50 Ausgabestellen besitzt und in sieben
Filialen für die Jugend eigene Lesesäle eingerichtet hat. Nach
Schluß der Schulzeit erlebt man hier das einstweilen ameri
kanische Schauspiel, daß die Säle der Kinderbibliothek sich
mit Knaben und Mädchen aller Alter, aller Nationalitäten und
aller Farben füllen. Der Betrieb ist sorgsam organisiert, die
Kinder wissen genau, daß sie sich in den bereitstehenden
Waschräumen vor dem Betreten des Lesesaales die Hände
sauber waschen müssen: dann aber steht ihnen der Weg zur
Unterhaltung und zur Bildung ungehindert frei. Die Lesetische
sind in ihren Ausmaßen der Körpergröße der jungen Bücher
würmer angepaßt: und auf seinem Platz findet der Junge das
Buch, in dem er gestern las und das er heute weiterlesen will.
Er hat vollkommen freie Bücherwahl, wenn er aber einen Rat
braucht, stehen ihm die Bibliotheksbeamten bereitwillig zur
Verfügung. Die Aufsicht in den Sälen führen Frauen, und ein
mal in der Woche findet zur Begeisterung der wißbegierigen
Kleinen die »story hour« statt, die Stunde der Erzählungen und
der Märchen. Eine der Bibliothekarinnen waltet dann als
Märchen- oder Geschichtenerzählerin ihres Amtes, erzählt von
alten Sagen, erzählt Geschichten von den Homerischen Helden,
Geschichten von Shakespeare und dem Mittelalter, Geschichten
aus den Anfängen Amerikas und den Kämpfen um die Koloni
sation. Hin und wieder begleiten Lichtbilderaufführungen diese
Erzählungen, und man mag sich leicht ausmalen, mit welcher
Begeisterung die Jugend auf die wöchentliche »story hour«
wartet. Wie glücklich dieser Gedanke der Bibliotheken für
Kinder gewesen ist, zeigt am besten der Erfolg: allein einer
dieser Pittsburger Kinderlesesäle verzeiehnete in sechs Mo
naten eine Besucherzahl von 67.000 Kleinen.
(Die Jahrhundertausgabe des Petrarca.)
Im Jahre 1904 hatte die italienische Kammer zur Jahrhundert
feier Petrarcas 40.000 Lire zu einer großen Ausgabe seiner
Werke bewältigt, und bis jetzt ist noch keine Zeile erschienen!
Dieses erstaunliche Resultat wird, wie uns aus Rom ge
schrieben wird, zum Gegenstand einer Interpellation in der
Kammer gemacht werden.
Bilder.
(Ein Lionardo-Porträt von Raffael?) Von
einer überraschenden Entdeckung, die unter einer Madonna von
Raffael gemacht wurde, weiß das »Journal des Debats« zu
berichten. Das Werk, das dem Dr. Pogorjelski in Peters
burg gehört, sollte von dern Restaurator der Petersburger Ere
mitage eine neue Leinwand erhalten. Bei dieser Gelegenheit
photographierte man das Bild mit einem besonderen Apparat,
der dem bloßen Auge unsichtbare Einzelheiten enthüllt und ver
größert, und so kamen alle Untermalungen des Werkes zum
Vorschein. Zunächst wurde festgestellt, daß das Bild in seinem
ersten Stadium ganz anders komponiert war und eine »Sacra
Conversazione« mit dem heiligen Josef, der heiligen Anna und
einem Engel darstellte. Unter dieser Komposition entdeckte man
sodann eine ganze Reihe von gemalten Studien, flüchtig skiz
zierte Porträts, in denen man berühmte Persönlichkeiten er
kannte: Castiglione, Papst Julius II., Perugino und Timoteo Viti.
Direkt iu der Mitte der Leinwand aber erschien eine Gestalt in
größerem Format als die übrigen, die L i o n a r d o da Vinci
darstellt, drei Viertel nach rechts gewendet, während auf der
linken Seite des Bildes ihn eine andere Skizze im Profil zeigt,
genau so, wie die Studie, die sich in Windsor befindet und die
man Liona rdo selbst zuschreibt. Die 'letzte dieser Studfen in
der Untermalung ist die des Plato aus der »Schule von Athen«.
Das Bild ist mit einem von Raffaels Kryptogrammen signiert
und von 1507 datiert. Wenn es wirklich ein Werk des Meisters
ist, dann hätte man hier ein Porträt Lionardos von der Hand
Raffaels.
(Ein neuer T i z i a n.) Im Atelier des Bilderrestaiiratörs
Regierungsrat G e r i s c h in Wien befindet sich zur Zeit ein
männliches Porträt, das trotz schwerer Schäden als ein Meister
werk Tizians aus der mittleren, besten Zeit zu bezeichnen
ist. Das Hochbild ist auf Leinwand gemalt, die insbesondere
am unteren Rande durch Feuchtigkeit stark gelitten hat. Das
Bild stellt einen würdigen älteren Herrn dar; das vornehme,