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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1876 / 126)

starkbevölkerten Provinzen oft nur wenige Stunden von einander abliegen, aber dennoch 
einen grundverschiedenen Charakter zeigen. Der Vortragende präcisirte nun das Typische 
in den Leistungen von Gent, Brüssel, Brügge, Ypern, Antwerpen und vor Allem Mecheln 
mit seinen bekannten Malines, und ging dann nach der Erklärung der gebräuchlichen Be- 
zeichnungen über auf das eigentliche Paradies der Spitzenkunst, nämlich Frankreich, wo 
dieselbe geblüht hat, wie kaum ein anderer lndustriezweig, ja vielleicht reicher und gräss- 
artiger als die grosse Kunst selbst. Das unvergleichliche Nationaltalent für heilsame Ver- 
einigung des Schonen mit dem Nützlichen und für Umbildung der Einzelleistungen anderer 
Völker in neue Formen zum Gemeingute der ganzen Welt haben die Franzosen wie in 
der gesammten Kunstindustrie bis heutzutage, so namentlich auch im Spitzenfache bewahrt. 
Das Costüm aus der Zeit eines Heinrich ll., Heinrich lll. und einer Catharina von Medici 
unterstützte diese Kunstübung, die aber. damals noch hicht mit der grossartigen Einfuhr aus 
iltalien und den Niederlanden concurriren konnte. Als aber unter Louis XIV. bei der stetig 
zunehmenden Verarmung des Landes die eigentliche Zeit der Manie und eines factischen 
Cultus dieses Zweiges eintrat, erblickte der geniale Colhert im Spitzenfache wie in der 
Glasfabrication und Gobelinweberei einen hochst bedeutsamen nationalokonomischen Factor, 
und Dank seinem rationellen Vorgehen schlug bald nach 1666 die glorreiche Geburtsstunde 
des point de France. Mit den wechselnden Moden war der Nationalindustrie stets neue 
Anregung gesichert: die coijees d Ia Fontange lösten die cravates de Steinkerque ab, die 
Verschwendung bei den heutigen Levers und Relevailles stieg ins Unerhörte und der 
Spitzenteufel geleitete die Officiere mit kostbaren parfumirten Dzntelles in den Pulver- 
rauch der Schlachten und noch die Opfer der Revolution unter die Guillotine. Seit deren 
dröhnendem Falle standen die lndustrieplatze durch zwölf Jahre still; die Folgezeit steht 
bereits ausserhalb der Grenzen, welche sich Dr. llg gesetzt hatte. Er besprach noch die 
wichtigsten technischen und stylistischen Fragen der Spitzenfabrication in lsle de France, 
in der Normandie, der Lorraine, Bourgogne und Champagne, besonders die Krone der 
französischen Spitzenindtistrie und die brillantesten Vertreter dieses Genres, die points de 
Valenciennes, dbilencon und dkdrgentnn. Da er es verstanden hatte, die Fülle von Details 
durch reizende kleine Charakterbilder der Zeit zu erleichtern, so erntete er schliesslich 
von den Zuhörern reichlichen, wohlverdienten Beifall '). 
. 
Am 17. Februar sprach Prof. Hauser wüber den Palast Diocletians in Spalatol. 
Der Vortragende legte in warmen Worten dar, wie wenig es der ganze Landstrich von 
lstrien bis zu den Boche di Cattaro verdiene, zu den halbvergessenen zu gehören. Für 
den Abgang grosseren Comforts wird der Besucher von Pola, Zara, Sebenico, Spalato, 
Ragusa und Cattaro durch die vielen aus dem römischen Alterthume, dem Mittelalter und 
der neueren Zeit venetianischer Herrschaft erhaltenen Kunstdenkmale und durch den 
wechselvollen Reiz der Landschaft reichlich entschadigt. Die Krone all' dieser Schönheiten 
gebührt aber dem Paleste, welchen sich Kaiser Diocletian zu Spalato in der Nahe von 
Salons, an einer Stelle, wie sie für eine Kaiser-Villa nicht besser zu finden war, im Jahre 
305 erbaute, um, müde der Welt und des Thrones, in stiller Zurückgezogenheit sich selbst 
zu leben. Die dreimalige Verwüstung Salonafs durch die Gothen, die Araber und die 
Croaten bedeutet für uns die Rettung des Kaiser-Palastes, hinter dessen festungsartige 
Umfriedung sich die geflüchteten Bewohner Salem's wie ein Bienenschwarm zusammen- 
drängten. Durch die vielen Einschnitte antiker Bauobjecte in die Wohnräume der neuen 
Bevölkerung wurde allerdings Vieles zerstört, aber die Hauptfurmen sind erhalten und 
die Dispositionen des lnneren aus den Resten noch deutlich erkennbar. Nach den Prin- 
cipien des römischen Standlagers war der Palast ein langliches Rechteck (x79 zu 2x5 
Meter) mit vier Thoren, von denen das nördliche, die Porta aurea, in gerader Richtung 
auf die Wohnräume des Kaisers führte. Diesen unmittelbar vorgelegt war ein herrlicher 
Kuppelbau als Vestibulum, und diesem wieder ein grossartiger Saulenhof, jetzt der Haupt- 
platz von Spalato, vielleicht der malerischeste in der Welt. Dem Eintretenden zur Linken 
eröEnete sich der Ausblick auf den sogenannten Jupiter-Tempel, den jetzigen Dom, und 
zur Rechten auf den Aeskulap-Tempel, jetzt als Baptisterium verwendet. Der Grossartig- 
keit dieser Anlage werden wohl die eigentlichen Wohnräume des Kaisers entspruzihen 
haben, wenigstens lassen die 80 Bogenfenster mit Halbsäulen gegen das Meer eine wahr- 
haft kaiserliche Promenade in dem so gebildeten Kryptoporticus noch ahnen. 
Prof. Ha user gab nun eine ausführliche Beschreibung der erhaltenen Baudenkmale 
und ausgestellte Aufrisse, Zeichnungen, Photographien und namentlich zwei tretfliche 
Aquarelle von J. Alt unterstützten sein erklarendes Wort. Der Kaiser-Palast von Spalato 
ist doppelt wichtig für die Architekturgeschichte, weil er gerade zwischen dem römischen 
und dem altchristlichen Style so mitten innen steht, wie die Bauten der Diadochen den 
') Diese beiden Vorträge erscheinen nächstem, mit phololithographischen Abbil- 
dungen ausgestanet, im Verlage von Lehmann 8x Wentzel in Wien.
	        
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