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dert hinein, als die arabische Seidenindustrie einen Concurrenten erhielt,
der ihr wiederum im Abendlande den Vorrang ablief.
Um die Mitte des zwölften Jahrhunderts nämlich waren durch den
Kriegszug Rogefs des Normannen griechische Seidengewehe nach Sicilien
und Unteritalien gebracht worden, von wo sie sich nach dem nördlichen
Italien ausbreiteten und hier, zumal in Lucca, im Laufe des 13. und 14.
einen neuen blühenden Zustand der Seidenindustrie gründeten. Von Lucca
wanderten die Seidenarbeiter nach mancherlei unglücklichen Schicksalen
dieser Stadt nach Florenz, Mailand, Venedig, Genua und anderen Orten
Norditaliens, und so entstand und erwuchs hier eine Industrie von einer
Ausdehnung und Bedeutung, dass man diese vierte Periode, die erste
christliche des Abendlandes, die italienische nennen muss. Sie dauerte
bis zum Ausgang des Mittelalters oder richtiger bis tief in das 16. Jahr-
hundert hinein, bis ihr eine neue cismontane Industrie den Rang ablief.
Künstlerisch begann die italienische Seidenweberei wie ihre Vorgänger,
d. h. sie imitirte den in der Herrschaft befindlichen Stil, den arabischen.
Sie eopirte seine Arabesken. Insvhriften, Thierbilder möglichst getreu.
Nicht gebunden aber durch ein Verbot natürlicher Nachahmung, wie der
Mohamniedaner, erlaubte sich die italienische Weberei, nachdem sie com-
merziell erstarkt war, die Thierbilder und Thierscenen freier mit christ-
lichem Geschmack und christlicher Symbolik zu behandeln, und schloss
sich andrerseits in der Bildung der Ornamente, des Laubes, der Ranken
mehr an die Natur an. Zugleich nahm sie figürlich- menschliche Sceuen,
insbesondere heilige Darstellungen aus der Bibel in den Kreis ihrer Or-
namentalion auf, die in regelmassigen Abständen so neben einander sich
wiederholten. Das wnr eine bedeutungsvolle Erweiterung, die insbesondere
im kirchlichem Gebrauche zur Anwendung kam.
Die Seidenindustrie diesseits der Alpen ging von italienischen Sei-i
denwebern aus, welche, wie einst die Lucchesen, durch die Unruhen im
Laufe des 15. Jahrhunderts aus ihrer Heimath vertrieben wurden und
theils im südlichen Frankreich, theils in den niederländischen Fabriks-
städten ein Asyl fanden. Die Thätigkeit der französischen Seidenindu-
striestadte Tours, Montpellier, vor allen Lyon, beginnt in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts, diejenige der niederländischen Städte vielleicht schon-
früher, da hier nicht eigens gezogener Rohstoff, sondern Orientaligchgr und
spanischer verweht wurde. In diesen französischen, wie in den Handrisch-
burgundischen Geweben erhielt der ornamentale Arabeskenstil eine neue
Gestaltung, vorzugsweise durch die gesteigerte Anwendung des Goldes und
die grosse Prachtliebe des burgundischcn Hofes. Es ist die beste, blühendste
Zeit der grosshlumigen, stilisirt gemusterten Goldbrocate.
Das 16. Jahrhundert, in welchem sich die italienische und die fran-
zösisch - niederländische Seidenindustrie in der Concurrenz die Wage
hielten, machte die Muster kleiner, zierlicher, aber auch weniger schwung-