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12 P. N. Filunow. Die Abslrcklion. 1930. 01 auf Papier,
62 X 87 Cm
13 P. N. Filonow. Die Absiruklion, 1930. Öl au! Papier.
75.2x 51.13 cm
14 P. N. Filonow. Ohne Benennung (Gesichter), nach
1930. O! auf Papier. 60x35 crn
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siegreichen Proletariat zum Geschenk machte und
daß dies gerade jene Bilder waren, denen das
Recht jeder Publizitüt am längsten verweigert
wurde. Erst im August 1967 kannte in der kleinen
Galerie der Sibirischen Abteilung der Sowjeti-
schen Akademie der Wissenschaften im fernen
Nowosibirsk die erste kleine Ausstellung seiner
Werke eröffnet werden. Es ist gewiß kein Zufall,
daß der Angriff gegen diese Barriere des Schwei-
gens gerade von den Positionen der wissenschaft-
lichen Welt aus geführt wird. Dies entspricht dem
Charakter von Filonows Werk. Es müssen jedoch
noch alle in staatlichen Sammlungen befindlichen
Werke Filonows erschlossen werden. Auch seine
theoretischen Texte, die vorerst nur in Abschriften
kreisen, müßten herausgegeben und um die
EditionseinesausdendreißigerJahrenstammenden
Tagebuches Sorge getragen werden. Erst dann
gelangen wir zu einem endgültigen Schluß über
die außergewöhnliche Bedeutung dieses russischen
Malers.
B ist jedoch jetzt schon klar. daß er zu den charak-
teristischesten Talenten gehörte, die die russische
Erde je gebar. Er selbst kehrte stets zu diesen
bodenständigen Quellen der russischen Tradition
zurück und stellte sie in Gegensatz zu jenem
einseitig auf die Form orientierten Teil der russi-
schen Avantgarde. der er ihre westliche Aus-
richtung zum Vorwurf machte. Einen Teil von
Filonows Denken bildete auch das gut überlegte
Projekt der ,.Übertragung des Kunstzentrums
nach Rullland". ein zwar utopisches Programm,
aber inmitten des fruchtbringenden künstlerischen
Görens im Rußland der Revolution gut begreifbar
und berechtigt. Die revolutionäre Note im Werk
Filonows. deren Impulse bis in die Gegenwart
reichen. liegt vor allem im Bestreben, die Gültig-
keit der Formelemente auf den gesamten Bereich
menschlicher Erfahrung auszudehnen. Filonow
hinterließ ein großartiges Projekt der Integration
verschiedener Typen der Erkenntnis, universale
Modelle der Untersuchung des Bewußtseins (eines
Bewußtseins. das nicht mehr die die Erfahrung
in eine objektive und subjektive teilende, künst-
liche Grenze kennt). Dies war bestimmt ein die
menschlichen Kräfte übersteigendes Programm,
in gewissem Sinne gewagt und visionör. das die
ganze Persönlichkeit aufs Spiel zu setzen erforderte.
Und Filonow besaß den Mut hiezu und hat ein
solches Projekt realisiert.
Es ist jedoch nicht allein nur diese originelle
Konzeption. die uns heute an Filonows Werk so
interessiert. Uns reizt die bizarre Metaphorik der
Formen und der mystische. mit rationeller Vorliebe
für die Analytik kombinierte Einblick in die
Dinge, uns fesselt die trügerische Pracht sich stets
wondelnder Formen und die Expressivitöt der
Farbigkeit, Jedes der Werke Filonows ist ein
unikates Kleinod. das auf der Ebene brillanter
protessionaler Kultur zugleich die Spontaneität der
volkstümlichen Kunsttabulation steigert, mit der
Filonow nie den lebendigen und leitenden Kontakt
verlor. Auch dort. wo sein Werk Ausdruck einer
verletzenden Schicksalhaftigkeit ist, wo es in die
dunklen Tiefen der Pathologie der Zeit verfüllt.
auch dort bleibt es ein Beispiel hellsichtiger Sehne
sucht nach Erkenntnis, die sonderbarerweise um so
reiner und durchschlagender ist. je undurchdring-
licher und unheilkündender das Material ist, das
überwunden werden will. das überwunden werden
muß.
Filonaws theoretisches und malerisches Werk
wächst als eine der höchsten Äußerungen der
humanistischen Analyse über die Grenzen der
Kunst hinaus und wird zu einem wichtigen Phäno-
men der modernen Geschichte. Es gehört nicht
nur einem Kulturkreis allein an, es ist weit allge-
meiner, es hat Weltbedeutung. Desto eher müssen
wir wünschen, daß ihm auch im Rahmen der
russischen und sowjetischen Kultur die Stelle
eingeräumt wird, die ihm von Rechts wegen
gehört.
(Ins Deutsche übertragen von M. A. Kotrbovd,
Prag)
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