Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
7. Jahrgang. Wien, 15. Jänner 1915. Nr. 2.
Die Wiener Kunstsalons im Kriege.
Von Dr. Richard Hoisel (Wien).
Mehr als je in Friedenszciten hat es die durch den
Krieg in eine nervöse Krise geratene menschliche
Seelenverfassung nötig, die Kunst gewissermaßen als
psychisch-diätetisches Mittel zur Wiedererlangung des
inneren Gleichgewichtes zu verwenden. Während in
diesem Belange das Theater sich bald auf seine Mission
besann und der relativ sehr gute Besuch der Bühnen
die Rechnung als richtig bestätigte, während auch die
Musik sich, obwohl schon mit geringerer Beweglichkeit,
in die gleiche Bahn begab, stimmt die Beobachtung
recht unbehaglich, daß die bildende Kunst eine unsäglich
flaue Rolle spielt. Eine Rolle, die einerseits von der
Umwandlung des Künstlerhauses und des Sezessions
gebäudes zu Spitälern herrührt. Diese Tat ist von
patriotisch-humanem Eifer getragen und entschuldigt
es, wenn das künstlerische Wirken unserer Künstler
davon ungünstig beeinflußt wird. Andererseits aber ist
es der traditionelle Mangel des Interesses für die
bildende Kunst, der in Wien seit Jahren heimisch ist
und auch in Friedenszeiten seine Lahmheit immer zu
bekunden wußte. Und doch muß man den Inhabern der
Kunstsalons zurufen, daß es auch an ihnen liegt,
dem Interesse durch Ausstellungen auf die Beine zu
helfen. Sie mögen bedenken, daß die Erziehung zum
Interesse für die Kunst zum Teil von ihrer Regsamkeit
ausgeht und die Gelegenheit wegen der geschlossenen
Gebäude am Getreidemarkt und in der Lothringerstraße
eine besonders günstige ist.
Während in Deutschland, w T as die Veranstaltung
von Kunstausstellungen betrifft, eine musterhafte
Regsamkeit beobachtet werden kann, beginnt bei uns
das Verständnis für dieseFrage nur langsam zu erwachen.
So hat die Galerie Arnot kürzlich Egon Schiele zu
einer reich dotierten Kollektivausstellung eingeladen
und betont damit seine seriöse, vom Einfluß des Krieges
emanzipierte Gesinnung. Eine Schiele-Ausstellung ist
zwar in diesen Zeiten keine Lockspeise, durch die sich
sämtliche Parteilager der Wiener Kunstfreunde an-
ziehen lassen, aber es ist ganz am Platze, so zu tun, als
wäre kein Krieg, denn in einem solchen Verhalten
stecken wirtschaftliche Energien, deren suggestive Macht
auf das Publikum die Wirkung gewiß nicht verfehlt.
Schiele hat Gemälde und Zeichnungen ausgestellt.
Ihre große Zahl gibt einen anschaulichen Überblick über
die Art seines Schaffens in den letzten Jahren. Künst
lerisch ist er immer noch ein Rätsel, an dessen Lösung
sich nur vorurteilslose Kunstfreunde heranwagen kön
nen. Während er im Gebiet des Gegenstandes und der Ge
stalt unentwegt und mit oppositioneller Leidenschaft in
allen Schächten des Häßlichen schürft, worin er wie ein
Kronzeuge der Degenerationsbestrebungen im Realismus
auftritt und dem ästhetisch Schönen in Gegenstand
und Gestalt bedingungslos gekündigt hat — man fragt
sich hiebei vergeblich nach der inneren Notwendigkeit
dieses Wollens — ist er technisch sehr gewandt, wie
seine Zeichnungen zeigen, eigenartig und alles wagend
in den sechzehn Gemälden. Noch mehr gilt diese
Feststellung für sein formales Können, für das er Vor
bilder in ägyptischen und anderen archaischen Kunst
formen sucht (Nr. 1 „Auferstehung“), immer aber mit
persönlicher Eigenart, die unter dem Druck eines
Dranges nach philosophisch-mystischem Symbolismus
steht, angepackt und verwertet. So wird für den Be
trachter alles zur Auslegung von Zeichen, Zeichen, die
einen ähnlichen, nur viel tieferen und komplizierteren
Gedankensinn haben als die ägyptischen Hieroglyphen.
Damit diese Kunst gefällt, muß der Betrachter den
suggestiven Eindrücken solcher magischer Kunstformeln
zugänglich sein, dann erschließt sich ihm eine starke
Anregung, wie bei einem Gang zwischen Mumien
und Sarkophagen. Es ist eine Art Religion in dieser
Kunst, aber der Betrachter muß vom gleichen Be
kenntnis sein.
Hugo Heller s Kunstsalon ist der rührigste im Frieden
und im Krieg und hat mit zwei Ausstellungen den Kampf
mit den Zeitläuften aufgenommen. Zuerst hatten aus
gestellt Stefi Glaxund Wölfle, der bekannte, talentierte
Simplizissimus-Mitarbeiter. Stefi Glax, die Münchener
und Wiener Schule mit weiblicher Anpassungsfähigkeit
zu vereinen wußte, hat in den Jahren ihres kürzlich
beendeten Pariser Aufenthaltes sich technisch bedeutend
gefestigt und erregte mit ihren Mont Martre-Bildern
und den duftigen Farben ihrer Marinen tiefer reichendes
Interesse. Trifft sie die elegante und vornehm-pikante
Note, so ist Wö 1 f 1 e s Stil in geistigen Impulsen geworden
und scheint sich in zwei Komponenten zu teilen:
in eine Anempfindung an den Stil des 18. Jahr
hunderts und in moderne Akzente. Seine Zeichnungen
sind fein und zart, sowohl im technischen wie im geisti
gen Entwurf, woraus sich erklärt, daß sie in diesen auf
gewühlten Zeiten nicht zur entsprechenden Resonanz
gelangen konnten.