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Carolee Schneemann, Interior Scroll (Innere Schriftrolle), 1975
Sammlung Peter und Eileen Norton, Santa Monica
taucht, drohen diese genau die Werte zu untergraben, für die
sie so mutig gekämpft hat.'“
So schreibt zum Beispiel Rebecca Schneider:
In den 25 Jahren nach »Eye/Body« [sic] entstanden expii-
zite Body art-Werke wie die der feministischen Künstierin
Orian, die in den Neunzigern ihr eigenes »Fleisch als
Material“ benutzt, indem sie sich verschiedenen Schön
heitsoperationen unterzieht, um »Teile« ihres Körpers - in
ironischer Nachahmung - Frauendarstellungen der kano
nisierten Kunst anzugleichen.'“
Die ansonsten exzellente Theoretikerin mißversteht Schnee
mann jedoch in diesem Punkt; die Verbindung, die Schneider
in ihrer Theorie herstellt, läßt sich nicht aufrechterhalten, denn
Schneemanns Erforschung von »Fleisch als Material« in Eye
Body unterscheidet sich grundlegend von Orlans Einsatz von
»Fleisch als Material«. Vielmehr sollten Schneemanns eigene
Worte aufmerksamer gelesen werden:
168 Für eine fundierte Kritik des Begriffs »bad giris« siehe Laura
Cottingham, How Many ‘Bad’ Feminists Does It Take to Change
a Light Bulb?, New York 1994. Cottingham beschreibt die
»historisierte Verwendung von ‘Bad Giri’ ais ausgesprochen her
absetzend« und erkält, daß dadurch »das Verhalten von Frauen
in Richtung Selbstaufopferung, sexuelle Unterdrückung und
Assimilation der heterosexuellen Werte Ehe und Familie, letzt
endlich also zum Modell 'Good Girl’ hin gelenkt wird«, allesamt
Zwänge, denen die Auftritte der Künstlerinnen den Kampf ange
sagt hatten. Und sie fügt richtigerweise hinzu, daß >‘die
Aneignung des good/bad-Modells, selbst wenn diese bewußt
subversiv geschieht, aus der Perspektive jeder Frau nichts
anderes ist als das Nachplappern eines männlichen vorherr
schenden Konstrukts«. Eine solche Rhetorik, so ihre
Schlußfolgerung, »beruht auf einer falschen, pseudo-hegeliani
schen Prämisse, daß These fgood giri') und Antithese (‘bad
giri’) zur Synthese (Emanzipation) führen. Sie übersieht, wie
offensichtlich und willfährig diese Dialektik die Bedingungen der
Emanzipation der Frau im Einklang mit dem Patriarchat
beschreibt.« Weiters weist Cottingham auch auf die
Oberflächlichkeit von Marcia Tuckers Definition des »bad giri«
als »redlich, provokant, streitlustig, leichtfertig, lasch und sogar
vulgär« hin; und bemerkt abschließend: »Ein Großteil der
Rhetorik im Zusammenhang mit diesen Ausstellungen strotzt
von dieser unerforschten Selbstverachtung und
Selbsterniedrigung.«
169 Rebecca Schneider, The Expticit Body in Performance, London
und New York 1997, S. 331-32.