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Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 9
Erinnerungen eines Bibliophilen.
Von Dr. Leopold Hirschberg (Berlin*).
Wenn Holt ei in der Einleitung seiner bekannten
Selbstbiographie sagt, daß man mit „vierzig Jahren“
beginnen müsse, seine Erlebnisse niederzuschreiben, so
wird er bei dieser Bestimmung nicht ganz streng an
die Dezimalrechnung gedacht haben und es keinem
verübeln, wenn er ein paar Jahre später damit an
fängt. Sicher ist die leider nur zu kurze Spanne Zeit
zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr der Höhepunkt
des männlichen Lebens. Mit 40 Jahren beginnt man
den „Wilhelm Meister“ zu verstehen und — zu lieben;
mit 40 Jahren ist man, bei allem feurigen Schaffens
und Lebensdrang, doch schon so weit abgeklärt, daß
man sich in die wundervollen Längen und Breiten des
Stifterschen „Nachsommers“ liebreich vertieft und
einspinnt. Auch andere Leidenschaften beginnen sich
in dieser Zeit zu sanften Flammen abzudämpfen;
und wenn es auch hierin gar viele Ausnahmen von der
Regel gibt, so kann ich jedenfalls von mir sagen, daß
d-ie Leidenschaft des Büchersammelns in meinem
45. Lebensjahr einen Grad der Befriedigung erreichte,
der zwar mit dem Gefühl der Sättigung nichts gemein
hatte, mir immerhin aber gestattete, mich freien und
frohen Herzens eines großen, abgeschlossenen Teiles
dieser Sammlung zu entledigen.
Nun und nimmermehr allerdings hätte ich, der ich
stets dem Kaiserwort im „Faust“: „Noch leb’ ich meinem
Reich, und habe Lust zu leben“ huldigte, mich (wie so
viele meiner trefflichen Sammelbrüder) dazu verstehen
können, das mühsam mit eiserner Geduld und fester
Begrenzung Zusammengebrachte einzeln derart ver
steigern oder verkaufen zu lassen, daß es in alle Winde
zerstreut und schließlich, wie die disjecta membra
poetae des Horaz, bald bei diesem, bald bei jenem
„Liebhaber“ aufgetaucht wäre. Nicht allein aus dem
Grunde, daß dadurch der Hauptwert meiner Sammlung
— ihre Geschlossenheit — völlig zerstört worden wäre.
Nein, vor allem deshalb, weil eigentlich an jedes der
20.000 Bücher, von denen keines durch glückliche
Erbschaft (die wie fast immer auch hier gewöhnlich
den Ahnungs- und Verständnislosen zufällt), sondern
jedes durch eigenen Erwerb gewonnen wurde, ein
Stück Erlebens, freudigen Erlebens sich knüpft.
Andererseits mußte ich mir sagen, daß die Sammlung,
wenn ihre Fortführung sich bis zu der Zeit ausgedehnt
hätte, wo, wie Matthias Claudius meint, Freund Hain
den Schmachtriemen löst, unfehlbar hätte zersplittert
werden müssen. Seinen Büchern gegenüber muß man
genau so handeln, wie es ein guter Vater seinen Kindern
*) Dieser Aufsatz, den wir dem „Berliner Börsen-Courier“
vom 2. Mai d. J. entnehmen, kündigt sich als Einleitung zu
einer in zwangloser Folge erscheinenden Reihe an.
gegenüber tut; schon bei Lebzeiten muß man für ihre
Zukunft Sorge tragen.
Als daher vor zwei Jahren die Königliche Univer
sitäts-Bibliothek Berlin die Neigung bezeigte, meine
Sammlung zu erwerben, so betrachtete ich dies als
einen Wink des Himmels, der meine treugeführte
Schar in gute Obhut geben wollte. Wenn auch im Innern
dieser Geschwister manch wütendes Wort gegen ein
anderes laut wird; w r enn auch zum Beispiel die Ivotze-
bueschen „Expektorationen" in unmittelbarer Nähe des
von ihnen bespieenen Schlegclschcn „Alarkos“, das
Schinksche „Marionettentheater“ neben dem von
ihm beschimpften „Götz“ stehen und Fichte dem
Friedrich Nicolai gerade in die Fenster sehen kann —,
so wurden sie doch nicht getrennt und bleiben mensch
licher Berechnung nach für immer zusammen.
Nur so wird der wahre Bücherfreund das Ent
schwinden seiner Sammlung nicht als schmerzlichen
Verlust, sondern als erfreuenden Gewinn, gewisser
maßen als Krönung seiner Arbeit empfinden. Nur
Wenigen aber ist dies zuteil geworden; nach Meusebach
und Varnhagen mir armen Sterblichen. In ihrem
20. Jubiläumsjahr siedelte die 1893 unter zunächst
wesentlich anderenGesichtspunkten begonnene, hundert
fach gesiebte Sammlung in ihr neues, nun dauerndes
Heim über. In die Zeit ihrer Entstehung gerade fällt
die große Geschmacksgewinnung am schönen Buch,
wodurch die bis dahin geringe Zahl der deutschen
„Bücherfreunde“ zu einer großen Gemeinde wurde
und auch darin, wie in so vielem andern, die älteren
Gilden der Franzosen und Engländer überflügelte.
Wer nun durch eigenes Sammeln in dieser denkwürdigen
erfreulichen Zeit mithalf, der hat schon das Recht, am
Ziel seiner Tätigkeit einiges darüber zu berichten. Leicht
ist es dem Begüterten natürlich auch hier, durch erheb
lichen Geldaufwand sich in den Besitz von Kostbarkeiten
zu setzen. Weit größer aber ist die Befriedigung, durch
Findigkeit, bisweilen durch Erraten ungenauer oder
mißverstandener Bezeichnungen zu Schönem zu ge
langen. So entbehrt die Geschichte einer solchen
Sammlung nie eines gewissen triumphierenden Humors,
wobei der Kenner den Sieg über die Nichtwisser davon
trägt.
In dem ergötzlichen Prolog seines „Fortunatus“
läßt Tieck die Göttin Fortuna und ihren Knecht, den
Zufall, handelnd auftreten. Wenn diese beiden dem
Bibliophilen nicht zur Seite stehen, so nützen ihm all
seine Kenntnisse nichts. Im folgenden werden diese
Göttergestalten gar manchesmal auf der Bildfläche
erscheinen.
Der Sammler Ludwig Hans Fischer.
Bei dem durch seine Aquarelle aus Italien und
dein Orient in den weitesten Kreisen bekanntge
wordenen Maler Ludwig Hans Fischer, der dieser
Tage in Wien seine Augen zum letzten Schlummer
schloß, hatte sich der Sammlertrieb in einer ganz
außerordentlichen Intensität entwickelt. Von ihm er
füllt, hat Fischer die weite Welt durchwandert und
überall mit dem durch Beobachtung geschärften Blick
gesammelt, was ihm irgendwie sammelnswert. erschien.
Besonderes Augenmerk wa dte er der Prähistorik zu,
die durch seine Entdeckungen ur.d Funde eine dankens
werte Bereicherung erfahren hat.
Schon der Eingang zu dem idyllischen Heim in
Neuwaldegg, das nun verwaist ist, verrät dem Kundigen
den passionierten Sammler, der es bis vor kurzem
innehatte. Man merkt es dem Tor aus Schmiedeeispn
an, daß es einmal einem weniger profanen Zwecke
gedient hatte. Es war das Tor der Kapelle, die am