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Seite 126 
Internationale Sammler-Zeitung 
Nr. 9 
Erinnerungen eines Bibliophilen. 
Von Dr. Leopold Hirschberg (Berlin*). 
Wenn Holt ei in der Einleitung seiner bekannten 
Selbstbiographie sagt, daß man mit „vierzig Jahren“ 
beginnen müsse, seine Erlebnisse niederzuschreiben, so 
wird er bei dieser Bestimmung nicht ganz streng an 
die Dezimalrechnung gedacht haben und es keinem 
verübeln, wenn er ein paar Jahre später damit an 
fängt. Sicher ist die leider nur zu kurze Spanne Zeit 
zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr der Höhepunkt 
des männlichen Lebens. Mit 40 Jahren beginnt man 
den „Wilhelm Meister“ zu verstehen und — zu lieben; 
mit 40 Jahren ist man, bei allem feurigen Schaffens 
und Lebensdrang, doch schon so weit abgeklärt, daß 
man sich in die wundervollen Längen und Breiten des 
Stifterschen „Nachsommers“ liebreich vertieft und 
einspinnt. Auch andere Leidenschaften beginnen sich 
in dieser Zeit zu sanften Flammen abzudämpfen; 
und wenn es auch hierin gar viele Ausnahmen von der 
Regel gibt, so kann ich jedenfalls von mir sagen, daß 
d-ie Leidenschaft des Büchersammelns in meinem 
45. Lebensjahr einen Grad der Befriedigung erreichte, 
der zwar mit dem Gefühl der Sättigung nichts gemein 
hatte, mir immerhin aber gestattete, mich freien und 
frohen Herzens eines großen, abgeschlossenen Teiles 
dieser Sammlung zu entledigen. 
Nun und nimmermehr allerdings hätte ich, der ich 
stets dem Kaiserwort im „Faust“: „Noch leb’ ich meinem 
Reich, und habe Lust zu leben“ huldigte, mich (wie so 
viele meiner trefflichen Sammelbrüder) dazu verstehen 
können, das mühsam mit eiserner Geduld und fester 
Begrenzung Zusammengebrachte einzeln derart ver 
steigern oder verkaufen zu lassen, daß es in alle Winde 
zerstreut und schließlich, wie die disjecta membra 
poetae des Horaz, bald bei diesem, bald bei jenem 
„Liebhaber“ aufgetaucht wäre. Nicht allein aus dem 
Grunde, daß dadurch der Hauptwert meiner Sammlung 
— ihre Geschlossenheit — völlig zerstört worden wäre. 
Nein, vor allem deshalb, weil eigentlich an jedes der 
20.000 Bücher, von denen keines durch glückliche 
Erbschaft (die wie fast immer auch hier gewöhnlich 
den Ahnungs- und Verständnislosen zufällt), sondern 
jedes durch eigenen Erwerb gewonnen wurde, ein 
Stück Erlebens, freudigen Erlebens sich knüpft. 
Andererseits mußte ich mir sagen, daß die Sammlung, 
wenn ihre Fortführung sich bis zu der Zeit ausgedehnt 
hätte, wo, wie Matthias Claudius meint, Freund Hain 
den Schmachtriemen löst, unfehlbar hätte zersplittert 
werden müssen. Seinen Büchern gegenüber muß man 
genau so handeln, wie es ein guter Vater seinen Kindern 
*) Dieser Aufsatz, den wir dem „Berliner Börsen-Courier“ 
vom 2. Mai d. J. entnehmen, kündigt sich als Einleitung zu 
einer in zwangloser Folge erscheinenden Reihe an. 
gegenüber tut; schon bei Lebzeiten muß man für ihre 
Zukunft Sorge tragen. 
Als daher vor zwei Jahren die Königliche Univer 
sitäts-Bibliothek Berlin die Neigung bezeigte, meine 
Sammlung zu erwerben, so betrachtete ich dies als 
einen Wink des Himmels, der meine treugeführte 
Schar in gute Obhut geben wollte. Wenn auch im Innern 
dieser Geschwister manch wütendes Wort gegen ein 
anderes laut wird; w r enn auch zum Beispiel die Ivotze- 
bueschen „Expektorationen" in unmittelbarer Nähe des 
von ihnen bespieenen Schlegclschcn „Alarkos“, das 
Schinksche „Marionettentheater“ neben dem von 
ihm beschimpften „Götz“ stehen und Fichte dem 
Friedrich Nicolai gerade in die Fenster sehen kann —, 
so wurden sie doch nicht getrennt und bleiben mensch 
licher Berechnung nach für immer zusammen. 
Nur so wird der wahre Bücherfreund das Ent 
schwinden seiner Sammlung nicht als schmerzlichen 
Verlust, sondern als erfreuenden Gewinn, gewisser 
maßen als Krönung seiner Arbeit empfinden. Nur 
Wenigen aber ist dies zuteil geworden; nach Meusebach 
und Varnhagen mir armen Sterblichen. In ihrem 
20. Jubiläumsjahr siedelte die 1893 unter zunächst 
wesentlich anderenGesichtspunkten begonnene, hundert 
fach gesiebte Sammlung in ihr neues, nun dauerndes 
Heim über. In die Zeit ihrer Entstehung gerade fällt 
die große Geschmacksgewinnung am schönen Buch, 
wodurch die bis dahin geringe Zahl der deutschen 
„Bücherfreunde“ zu einer großen Gemeinde wurde 
und auch darin, wie in so vielem andern, die älteren 
Gilden der Franzosen und Engländer überflügelte. 
Wer nun durch eigenes Sammeln in dieser denkwürdigen 
erfreulichen Zeit mithalf, der hat schon das Recht, am 
Ziel seiner Tätigkeit einiges darüber zu berichten. Leicht 
ist es dem Begüterten natürlich auch hier, durch erheb 
lichen Geldaufwand sich in den Besitz von Kostbarkeiten 
zu setzen. Weit größer aber ist die Befriedigung, durch 
Findigkeit, bisweilen durch Erraten ungenauer oder 
mißverstandener Bezeichnungen zu Schönem zu ge 
langen. So entbehrt die Geschichte einer solchen 
Sammlung nie eines gewissen triumphierenden Humors, 
wobei der Kenner den Sieg über die Nichtwisser davon 
trägt. 
In dem ergötzlichen Prolog seines „Fortunatus“ 
läßt Tieck die Göttin Fortuna und ihren Knecht, den 
Zufall, handelnd auftreten. Wenn diese beiden dem 
Bibliophilen nicht zur Seite stehen, so nützen ihm all 
seine Kenntnisse nichts. Im folgenden werden diese 
Göttergestalten gar manchesmal auf der Bildfläche 
erscheinen. 
Der Sammler Ludwig Hans Fischer. 
Bei dem durch seine Aquarelle aus Italien und 
dein Orient in den weitesten Kreisen bekanntge 
wordenen Maler Ludwig Hans Fischer, der dieser 
Tage in Wien seine Augen zum letzten Schlummer 
schloß, hatte sich der Sammlertrieb in einer ganz 
außerordentlichen Intensität entwickelt. Von ihm er 
füllt, hat Fischer die weite Welt durchwandert und 
überall mit dem durch Beobachtung geschärften Blick 
gesammelt, was ihm irgendwie sammelnswert. erschien. 
Besonderes Augenmerk wa dte er der Prähistorik zu, 
die durch seine Entdeckungen ur.d Funde eine dankens 
werte Bereicherung erfahren hat. 
Schon der Eingang zu dem idyllischen Heim in 
Neuwaldegg, das nun verwaist ist, verrät dem Kundigen 
den passionierten Sammler, der es bis vor kurzem 
innehatte. Man merkt es dem Tor aus Schmiedeeispn 
an, daß es einmal einem weniger profanen Zwecke 
gedient hatte. Es war das Tor der Kapelle, die am
	        
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