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ähnlich wie bei dem angevinischen Gebetbuch", Proben der giottesken
wie der senensischen Schule vor; letztere kommt noch charakteristischer
zur Geltung als die fiorentinische: besonders die grünliche Untermalung der
Fleischteile wirkt bei manchen Bildern in grellster Weise. Dies im einzelnen
darzulegen, Details der zum Teil sehr originellen Randverzierung (zum
Beispiel die stilisierten Cherubim, mit denen die Darstellung Christi als
Cherub im angevinischen Gebetbuch Blatt 217 zu vergleichen ist) ein-
gehender zu beschreiben, bildet Aufgabe einer besonderen Studie; einer
solchen wäre dieses bisher so gut wie unbekannte Miniaturenwerk gar wohl
würdig.
Das nämliche gilt von einer stattlichen Zahl von Werken der italienischen
Profanillustration, denen wir uns jetzt zuwenden.
Man braucht z. B. die Handschrift, welche den Roman de Troie des
Benoit de Sainte-More enthält" (cod. 257i), nur Hüchtig zu durchblättern,
um sich zu überzeugen, dass dieses noch dem XIV.]ahrhundert angehörige
Manuskript, das für die Kunstgeschichte bisher nicht vorhanden war, ein
sehr beachtenswertes Denkmal italienischer Malerei darstellt. Fast zwei-
hundert Miniaturen schmücken dieses Exemplar des französischen Romans,
und Prinz Eugen von Savoyen, aus dessen Sammlung Cimelien allerersten
Ranges, wie der Cwur d'amour epris Rene's, in die Hofbibliothek übergingen,
hat wieder seinen Kennerblick bewährt, als er dieses prächtige Stück seiner
Privatbibliothek einverleibte.
Die im ersten Augenblick vielleicht auffallend erscheinende Tatsache,
dass der Roman eines französischen Trouveres, der in der zweiten Hälfte
des XII. Jahrhunderts lebte, gerade von einem italienischen Meister des
Trecento mit so grosser Sorgfalt illustriert wurde, ist in den bereits früher
kurz angedeuteten literarischen Verhältnissen begründet. Die damalige
literarische Machtstellung Frankreichs hatte zur Folge, dass nicht nur Hand-
schriften altfranzösischer Texte nach Italien gebracht, sondern hier, nament-
lich in Oberitalien, auch iieissig kopiert wurden.""'""
Wir können hier den durch diese Handschrift angeregten Gedanken,
Verbreitung der altfranzösischen Literatur durch italienische Kopisten, nicht
verfolgen. Eine Fülle internationaler Anregungen, wirkliche Geistes-
geschichte des Mittelalters, für welche die Antike die grossartige Grundlage
bot, tritt da jedem, der einigermassen mit dem älteren Schrifttum der beiden
"' Genauere Vergleichung der Miniaturen in dem oben erwähntenangevinischenGebetbuch und in unserer
Bibel lehrt einige bemerkenswerte Analogien kennen; so ist die Trinitätsdarstellung, deren wir eben gedachten,
auf Fol. 395 der Bibel insuferne wiederholt, als nur die winzig kleine Taube weggelassen wurde, ferner bieten
sich für die heranschwebende segnende Figur des Erlösers auf Fol. 51, 65, 7g des Gehetbuchs Parallelen in der
Bibel (z. B. Fol. 3323". und sonst).
"' Vgl. joly, Aristide: „Benoit de Sainte-More et le Roman de Troie", 2 Bände, Paris, 186g bis 187i.
"H" So stellte Ad. Mussalia („Handschriftliche Studien", II, Wien. 1863, S. z) und nach ihm Ad. Banoli
(„l codici francesi della Biblioteca Marciana", Venezia. 187a), sowie Dorn. Ciämpuli („I codici francesi della
R. Biblioteca Nazionale di San Marco", Venezia, 1897) fest, dass die meisten französischen Manuskripte der
Marciana von italienischen Abschreihem herrühren. Vergl. auch Paul Meyer, „Romanir, XI (1882), 258 H. und
G. Paris, ebenda, IX (1880), 500 ff.