europäische Form allmählich ausbil-
dete, so werden wir auch an derselben
Quelle viele Einflüsse suchen müssen,
die auf dem viel direkteren Wege
über China nach Japan drangen und
durch sehr wenig Zwischenglieder
verändert werden konnten. Das cha-
rakteristische Merkmal chinesischer
Baukunst, das Hereinragen ältester
Zustände bis in die Gegenwart, gilt
auch fürjapan, wo die Veränderungen
der lokalen Sonderbestrebungen den
uralten Kern nicht berührten. Über
dieses Gemisch von Raffiniertheit und
ursprünglicher Naivetät äußert sich
Semper (Der Stil, I) wie folgt:
„Wenn auch in vielen Teilen
durch Späteres und Spätestes getrübt
und gefälscht, hat sich in China (und,
wie wir hinzufügen, auch in Japan) ein
uraltes Prinzip des Bauens bis auf den
heutigen Tag gleichsam lebendig er-
halten, das über den materiellen Ur-
sprung mancher Eigentümlichkeiten
selbst der hellenischen Architektur Aufschluß gibt und sie erklärt. So tritt
uns hier zum Beispiel eine Technik der Wandbereitung noch tätig funk-
tionierend entgegen, die an den Überresten der westasiatischen, ägyptischen
und gräkoitalischen monumentalen Kunst nur als längst Erstorbenes
erscheint, nur fragmentarisch und außerdem schon in nicht primitiver
Weise, sondern transformiert und mit anderen Elementen zu Neuem vereint
sich erhielt.
Die äußere Oberfläche der Mauer ist hier noch materiell ganz
geschieden von der Mauer selbst und in der Tat meistens beweglich. Die
Mauer als solche, nämlich als Steinkonstruktion und tragendes, senkrecht
stützendes, statisch fungierendes Element, tritt nur an den oft sehr mächtigen
und wesentliche Bestandteile der chinesischen Baukunst bildenden Terrassen
und Unterbauten auf, zu denen auch die Treppenanlagen und Balustraden
gehören, welche letztere jedoch gleichsam Übergangsformen zwischen dem
Steinbau der Terrassen und den aus der Tektonik und der Textrin abgeleteiten
Bestandteilen der von den Terrassen getragenen oberen Anlagen bilden.
In letzterem trägt die Mauer nur ihre eigene Last und dient als zwischen-
gespannte Wand zwischen der Holzkonstruktion, welche letztere den
technischen Zweck hat, das Dach und den horizontalen oberen Decken-
abschluß des Raumes zu stützen.
John Singer Sargent, Francis C. Penrose
Die Mauer ist genau genommen nur eine in Ziegeln ausgeführte
spanische Wand, ein Tapetengerüst, sie ist so wenig tragendes oder
stützendes Glied, soll es so wenig sein, daß sie vielmehr als seitwärts Ein-
gespanntes und vor dem Umfallen gesichertes Mobiles und von der Last
des Daches vollkommen Unabhängiges überall sorgfältigst symbolisiert wird.
Das Gerüst selbst, welches die vertikalen und horizontalen deckenden
Raumabschlüsse hält, ist ein Gemisch von Formen, das eben so sehr der
Holzkonstruktion (Tektonik) wie dem Flechtwerk (Textrin) angehört.
Das Bekleidungsprinzip macht sich außerdem an diesen struktiven
Teilen des Baues noch auf andere Weise, nämlich durch deckende Über-
züge des hölzernen Kernes, geltend.
Die inneren Abteilungen der häuslichen Einrichtung sind beweglich,
meistens wirkliche an der tWand herabhängende Teppiche oder durchaus
Gitterwerk, oder hölzerne mit Scharnieren aneinander befestigte Tafeln, die
beliebig aufgestellt werden können, oder endlich feste Scherwände, die aber
den Charakter dieser Teppiche und spanischen Wände kundgeben.
Die gemalten und skulptierten Ornamente sind durchgängig aus den-
selben struktiven Elementen hervorgegangen, die sich so klar an dem bau-
lichen Ganzen scheiden. Nachahmung von Stoffen, lackierte Täfelung,