kritik sind gefallen und ein Wetteifer um Entdeckungen ist entstanden, der Ehrenrettungen
und interessante Funde mit sich brachte. Noch ist diesem Eifer sehr viel Arbeit vorbehalten.
Es ist erstaunlich, wie wenig die Glanzzeit der baulichen Entwicklung Wiens, die so viele
bedeutende Schöpfungen hinterlassen hat, zur Anerkennung der künstlerischen Urheber
dieser Werke Materialien bietet.
Endlich ist auch der Kunstforschung klar geworden, daß nicht nur die beglaubigten,
mit glänzenden oder wenigstens angesehenen Namen in Verbindung stehenden Werke
ihrer Beachtung würdig sind, man hat auch gelernt, den allgemeinen Kunstcharakter ganzer
Perioden, den Zusammenhang mit der Kulturentwicklung zu betonen, man hat auf das
Volkstümliche mehr Aufmerksamkeit gewendet und den zahlreichen typischen und an-
regenden Werken Beachtung geschenkt, für die niemals ein Name, wohl aber das Kunst-
empfinden einer ganzen Epoche zu sprechen vermag.
Die Lebensformen, die Wohnsitten, die Bautraditionen, die Zweckforderungen
der Kulturbedürfnisse sind als Ganzes, in ihrem Zusammenhang auch in Wien oft zu so
anziehendem und bedeutendem Ausdruck gelangt, daß ein Hinweis auf diese Eigen-
tümlichkeiten, eine Aufdeckung der Zusammenhänge unbedingt nötig, höchst wertvoll war.
Wien bietet von den großen Kunstwerken der Kirchenbaukunst und den königlichen oder
adeligen Prunkbauten bis zu den intimen, malerischen Bürgerhäusern, den Straßen, Plätzen,
Höfen als Zeugen einer warmen, durch uralte Zusammenhänge und Fähigkeiten verschönten
Bautradition zahlreiche Abstufungen der künstlerischen Rangordnung. Und in den reizvollen
Vororten zeigt es in ihrem kleinstädtischen oder bäuerlich konservativen Typus die Nach-
wirkung ältester Wohnsitten malerisch lebendig erhalten.
Das kleine handliche Büchlein von Hans Tietze weiß diesen mannigfaltigen, vielfach
noch im Ausbau befindlichen Problemen der Kunstbetrachtung gerecht zu werden. Er
verbindet die Beherrschung eines sehr gründlichen Kunstwissens, einer sehr eingehenden
Kenntnis des so großen Materials an Dokumenten mit der Liebe zu dem Gegenstande
selbst, die einen Teil seines Lebenswerkes erfüllt. Ein Festhalten der Zusammenhänge und
Aufhellen der Entwicklungsreihen kennzeichnet den Faden, der durch die Darstellung zieht.
So bildet die Lektüre den richtigen Wegweiser für alle jene, die Wien nicht bloß äußerlich,
sondern seinem Kern nach verstehen lernen wollen. Eine Zahl guter Abbildungen ist nicht
bloß dem gangbaren Vorrat entnommen, sondern bringt vielfach zwar weniger bekannte,
aber durch inneren Gehalt hervorragende Werke zur Darstellung, die zur Charakteristik
von Persönlichkeiten oder Perioden dienen. Auch der alte Freund der Kunstentwicklung
Wiens vermag aus diesem Kompendium des Kunstwissens von der Donaustadt Lücken zu
ergänzen und anregende Aufschlüsse zu entnehmen, weil eben eine gewissenhafte Voll-
ständigkeit und ein ehrlicher Arbeitswille das gesamte bisher zugängliche Material wenn
auch nur auszugsweise verwertet. '
Man freut sich dieser Darstellung aber vor allem deswegen, weil nicht bloß das
Kunstwissen, sondern auch die Liebe zur Kunst, nicht bloß das Dokument der Geschichte,
' sondern auch die Freude an der Betrachtung zum Ausdruck gelangten. H. F.
DIE VVIEDERGEBURT DER DEUTSCHEN VOLKSKÜNST VON
K. O. HARTMANNT Besser noch als in seiner Schrift „Stilwandlungen und
Irrungen" zeigt sich der gewissenhafte Verfasser in der Fortsetzung dieser Auseinander-
setzung mit dem künstlerischen Zeitgeist. Er nennt die „Volkskunst" das wichtigste Ziel
der künstlerischen Bestrebungen unserer Zeit und tritt für ein energisches Hinwirken auf die
Erreichung dieses Zieles durch Schule und Volksbildung ein. Er meint die „Kunst des
Volkes", als Ausdruck einer Gemeinsamkeit im Denken und Erfinden, im Leben, Wirken
und Schaffen. Er denkt wohl vorerst an die „angewandten Künste" und nicht an die „große
Kun-St"; übeTSiChl ab" dabei. daB wahre Volkskunst nie etwas Gewolltes sein kann. In
seiner Entstehung, in dem natürlichen Entviricklungsgang aus dem Handwerk und Bedürfnis,
"K München und Berlin, Verlag von R. Oldenbourg.