JAHRESBERICHT
des
k. k. Oesterr. Museüms für Kunst und Industrie
für 1890-
Das Jahr 1890 war für das Oesterr. Museum ein mannigfach bewegtes und inter-
essantes, weniger nach außen hin als nach dem, was innerhalb seiner Mauern sich ereignete.
Die Reparaturen, welche eine Reihe von Jahren im Gange waren, vollendeten sich mit
dem Fußboden, so dass nunmehr nur noch die Wiederherstellung der Sgraffiten an der
Außenseite übrig bleibt. Neue Um- und Aufstellungen veränderten die Säle Il und lll,
welche die gesammte Keramik und die Glasgegenstande enthalten. Vor Allem waren es
aber die Specialausstellungen, welche in dem Berichtsjahre ununterbrochen einander folgten,
so zahlreich, wie noch in keinem der fünfundzwanzig Jahre seit der Existenz des Museums,
daher denn auch eine besondere Besprechung derselben am Platze ist. Sie bewirkten
auch wiederum eine bedeutende Zunahme der Besuchsziifer im Vergleich zum Jahre 1889,
das, unter verschiedenen Umständen leidend, auch noch die gewöhnliche Weihnachts-Aus-
stellung halte ausfallen sehen.
Schon im Januar begann eine Ausstellung von mehr als siebzig großen Gobelins,
welche alle verfügbaren Wände und Raume des Museums einnahm. Die Auswahl war
so getroffen, dass sie nicht blos Kunstwerke ihrer Art von erstem Range und höchstem
Interesse zeigte, sondern auch so, dass man an den Beispielen die ganze Geschichte dieses
so schönen Kunstzweiges vom vierzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert verfolgen
und studiren konnte. Die kaiserliche Sammlung in Schönbrunn, die Fürsten Liechten-
stein und Schwarzenberg, der Bischof von Brixen, die Herren von Ephrussi,
Dr. Figdor, Baron Springer, die Firma Philipp Hass d: Sühne u. A., denen Allen
das Museum zum Danke verpßichtet ist, hatten zu dieser ungewohnlich schonen Aus-
stellung beigetragen, welche ihren Zweck, für den kostbarsten Zweig der Decoralion lnter-
esse und Liebe zu erwecken, gewiss erfüllt hat.
Den Gobelins folgte eine Specialausstellung, welche nicht fremdartiger in ihrem
Gegensatze gedacht werden kann, eine Ausstellung der nPostwerthzeichenu, d. i. insbe-
sondere von Briefmarken. Obwohl diese Gegenstände nur zum geringen Theile als
Werke künstlerischer Technik und künstlerischer Zeichnung in den Rahmen und unter die
Aufgabe des Museums fallen, erfüllten Curatorium und Direction doch den Wunsch des
Clubs der Philatelisten, für diese Ausstellung, welche zudem einem woblthätigen Zwecke
gewidmet war. die Säle Vl und Vll mit allen ihren Glaskasten herzuleihen. Die vom Club
selber arrangirte Ausstellung fand im Monate April statt und erfreute sich eines außer-
ordentlich zahlreichen Besuches.
Zum Dritten war es die k. k. CentrIl-Commission zur Erforschung und Erhaltung
der Bau- und Kunstdenkmale, welche in den oberen Sälen für den ganzen Lauf des
Sommers eine Ausstellung aus dem großen Vorrathe ihrer Zeichnungen und Aufnahmen
veranstaltete. Diese reiche Collection fohrte eine große Anzahl Schöner Kunstwerke, ins-
besondere des Mittelalters, vor und machte den Besucher mit vielen, zum Theile fernab
liegenden und selten gesehenen Bauwerken des Vaterlandes bekannt. Sie dauerte bis
Mitte September.
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