Dass diese Parole keineswegs neu ist, braucht nicht erst hervorgehoben
zu werden. Aufs Neue und mit besonderem Nachdruck ausgegeben
wurde sie vor nicht zu langer Zeit von einigen Kunststätten Mitteleuropa's.
Namhafte Schriftsteller und Künstler haben zu ihrer Verbreitung bei-
getragen und es fehlt auch keineswegs an intensiver praktischer Bethä-
tigung der in Vorschlag gebrachten Principien.
Jetzt schon die Frage des Erfolges der unternommenen Bestre-
bungen anfzuwerfen, welche dahin zielen, die moderne Ornamentik durch
die Ergebnisse eines sorgfältigen Pllanzenstudiums umzugestalten, wäre
viel zu verfrüht. Von Vortheil jedoch kann es nur sein, wenn die Aus-
sichten, welche ein solches Studium bieten kann, im Allgemeinen wohl
erwogen werden, wenn man allzu sanguinische Hoffnungen, welche mancher
nicht näher in die Sache Eingedrungene hegen mag, auf das richtige
Maß zurückführt, dagegen das, was bei Reforrnbestrebungen angedeuteter
Art nutzbringend sein muss, besonders vor Augen führt.
Zu dem Ende ernpüehlt es sich, vorerst das Ornament als solches
etwas näher in's Auge zu fassen.
So lange das Menschengeschlecht besteht, strebt der Staubgeborene,
Alles was er schafft und bildet, nicht nur brauchbar und entsprechend
dauerhaft, sondern auch schön zu gestalten. Primitive Erzeugnisse aus
prähistorischer Zeit weisen Formen auf, welche nicht einzig und allein
auf die Bethätigung des Utilitätsprincips zurückzuführen sind. Auch
schmückende Zuthat, wenn noch so einfacher Art, findet sich schon an
Producten der Stein- und der Bronzezeit, und zwar zunächst solcher
Art, dass kein noch so einfaches Beispiel der Darstellung eines pflanz-
lichen oder thierischen Wesens sich zeigt, kein noch so leiser Versuch,
in der Natur Geschautes seiner äußeren Erscheinung nach festzuhalten
und mit den zu Gebote stehenden Mitteln wiederzugeben. Bei dem Um-
Stande, dass Linien, Punkte oder Kreise u. dgL, die rudimentärsten Ele-
mente jeglicher Zier einfachster Art, auch in der Natur, verschiedenartig
aggregirt, häufig genug vorkommen, um auch gelegentlich von Menschen
nachgebildet zu werden, mag sich Mancher versucht fühlen, solche Zier-
formen als Resultate directer Nachahmung anzusehen. Gewichtige That-
sachen belehren uns jedoch eines Anderen. Nur ein paar derselben seien
beispielsweise erwähnt.
Zu den einfachsten ältesten Ziermotiven gehört unter Anderen die
Spirale, sehr oft - ja in den meisten Fällen - in enger, dichter, viel-
facher Windung hergestellt. Bei der Häufigkeit der Anbringung der-
selben sollte man auch auf ihr häufiges Vorkommen in der Natur
schließen können, falls sie als Urbild dieser entnommen worden wäre.
Nun finden sich aber derartige Spiralen in der Natur fast gar nicht.
Noch weniger kann für eine weitere Zierform das Urmotiv in dem sich
täglich darbietenden Schatze der natürlichen Vorbilder gesucht werden:
für die Durchkrenzung zweier Liniensysteme, d. h. für die Gitterung.