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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1875 / 120)

Keine Kunst erfreute sich in früheren Jahrhunderten in unsern Gegenden einer so 
grossen Beliebtheit als die Holzschnitzerei. Wir können den Sinn für diese Kunst getrost 
mit dem Formensinn der alten Hellenen vergleichen, wenn auch nicht bei. Weitem von 
jener Formvollendung die Rede sein kann. Jedenfalls ist die allseitige Betheiligung der 
Bevölkerung an der bildenden Kunst im Alterthum kaum grbsser gewesen. Aber keine 
Aufzeichnung unserer älteren Historiker verzeichnet uns die Namen der Meister, die sie 
mit besonderem Geschick getrieben haben. Nur die Reste dieser Kunst, die noch vielfach 
auf dem Lande und in den Hausern der alten Zeit vorhanden sind, lassen uns ahnen, 
welche Bedeutung einst diese Kunst im Leben unserer Vorfahren hatte. Sie zeigt sich 
überall an Schranken, Stühlen, Laden herunter bis zum kleinsten Hausgerath, dem Man- 
gelbrett, der Elle und dem Stopfleisten. 
Die Hochzeitstruhe, welche die reichen Schätze der Mitgift hegte, bildete den künst- 
lerisch schonen Glanz- und Mittelpunkt in dem Brautzuge der alteren Zeit. Was ist aber 
das, was wir jetzt noch besitzen, gegen das, was einst vorhanden gewesen sein muss? 
Die dänischen Beamten, die einen grossern Sinn für diese Dinge zeigten als die deutschen, 
haben eine Menge dieser Denkmäler mit nach Dänemark genommen. Ein alter Pastor er- 
zählte Magnussen, dass vor etwa zu Jahren alljährlich ganze Schuten voll dieser wAlter- 
thümerw die Treene hinabfuhren, um von Friedrichstadt nach England zu gehen. Auch 
die Händler kauften Vieles auf, um es über Hamburg landeinwärts zu verkaufen. Als in 
Husum einst eine alte baufallige Kirche abgebrochen wurde, da verkaufte man alle 
Schnitzereien daraus als Brennholz! Darunter soll sich auch eine Madonna von Brügge- 
man n befunden haben. Eine schon geschnitzte Kanzel, die ein Glaser bei dieser Gelegen- 
heit erstand, zeugt noch von der Vortrelilichkeit jener Arbeiten. Trotz der argen Ver- 
wüstungen in diesen Schauen können wir uns doch noch eine leidliche Vorstellung von 
dem Reichthum und der Hohe dieser Kunst machen nach Magnussenbs Sammlung, nach 
der fast noch bedeutendem von Professor Thaulow in Kiel und vor Allem nach Brüg- 
gemann's herrlichem Altarschrein im Dom zu Schleswig. Auch dieses Kunstwerk blieb 
dort lange unbeachtet, bis Thorwaldsen, der es in den vierziger Jahren mit einigen 
Schleswiger Honoratioren besah, voll Bewunderung in die Worte ausbrach: "Dies ist das 
grosste Kunstwerk in seiner Art! Euch ist ein grosser Schatz anvertraut; bewahrt ihn 
als ein Heiligthum der Stadt.- Und doch wissen wir von Brüggemann weder wo er 
gelebt, noch wo er gestorben ist. Nur das wissen wir, dass sein Werk im 16. Jahrhundert 
entstanden ist. 
Es ist nicht wunderbar, dass auch bei uns die Kunst im Dienste der Religion ihre 
schönsten Blüthen getrieben hat, wie es bei den Griechen und den Baudenkmalern des 
Mittelalters der Fall ist. Was im grossen Masse für die Kirche geschah, das zeigt sich 
im kleinen ganzen Leben unserer Vorfahren. ln sinniger Weise wandte man diese Kunst 
auf alle Gerathe des Hauses an. Dieselbe wurde von allen geübt, die ein Messer gut zu 
führen verstanden; daher erklart es sich, dass selbst grossere Kunstwerke damals wenig, 
jedenfalls weniger Aufsehen als jetzt erregten, und dass die Namen der Künstler so selten 
überliefert sind. Wohl kann uns Magnussen's Behauptung stutzig machen, dass unge- 
übte, ungelernte Leute, selbst Bauern und Schilfer diese Kunst geübt haben, wenn er nicht 
zugleich anführte, dass noch bis in die neueste Zeit nordfriesische Matrosen auf den 
Reisen nach Grönland allerlei Sachen schnitzten, denen Sinnigkeit und Geschick nicht 
fehlen. Die inselfriesische Schnitzkunst unterscheidet sich allerdings wesentlich von der 
festlandischen. Das Talent der lnselfriesen beschränkt sich auf die Ornamentik. In unend- 
lich mannigfaltiger Weise wissen sie die Figuren des Kreises, der Blumen und Blatter zu 
variiren und zu verschlingen, womit häufig ein Herz und der Name der Geliebten ver- 
bunden ist. Auch manch sinniger Spruch zeigt, mit welcher Freudigkeit man die Arbeit 
machte und verschenkte, und wie man das einfache Leben poetisch zu verschönern wusste. 
So führen wir einige besonders charakteristische lnschriften von Mangelbrettern an: 
Wasche wit, mangle glatt, 
So hebb' ik alle Sundag wat. 
Min Hart, din Hart, 
Unse beiden en Hart. 
In hübscher und sicher zutreffender Weise erklärt Magnussen dieses Talent der 
Inselfriesen und ihrer Anlage zur Rechenkunst und Mathematik. Wie die jungen Männer 
von Pelworm und Nordstrand am Sonntag Nachmittag zusammenkommen und sich Exempel 
aufgeben, deren schnellste Lösung mit einem Glase Bier belohnt wird, so zeigt sich dieser 
mathematische Sinn auch in der kunstvollen Anwendung mathematischer Figuren in der 
Schnitzerei. 
Sobald der Inselfriese Menschen- und Thiergestalten behandelt, so erscheinen die- 
selben plump, ungeschickt und kindlich. Die Arbeiten der Festlandsfriesen und der übrigen 
Schleswig-Holsteiner zeigen im Gegensatz dazu die grosste Virtuosität in der Behandlung
	        
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