475
dieses kleinen Kreises sind die Grundlinien zu einem Programm für
die neue Sculpturensammlung entworfen worden. Diese Grundidee zu
entwickeln und damit zur lebhafteren Discussion der Sache in der Oeffent-
lichkeit den Impuls zu geben, ist die Hauptaufgabe dieses Vortrages.
Aber besitzen wir in Wien nicht bereits mehrere solche Samm-
lungen von Gypsabgüssen? Diese Frage sehe ich auf den Lippen mancher
meiner verehrten Zuhörer schweben. - Allerdings: wir besitzen zwei
recht namhafte Sammlungen von Abgüssen, und zwar im Oesterr. Museum
und in der Akademie der bildenden Künste. Ich will ihnen eine kurze
summarische Betrachtung widmen, nicht nur um den Vorwurf der Unter-
schätzung des Bestehenden abzuwenden, sondern auch, weil wir durch
die Schilderung dessen, was wir besitzen, am besten uns klar werden
können über das, was uns fehlt.
Die ältere und reichere von den beiden Sammlungen ist die der
Akademie; ihre Gründung reicht bis zu den Anfängen dieser kaiser-
lichen Kunstanstalt unter Leopold I. zurück, wenn auch wohl keines der
jetzt im plastischen Museum am Schillerplatz befindlichen Stücke noch
aus den Tagen des Peter Strudel herstammt. Einen beträchtlichen Zuwachs
erhielt die Sammlung unter Kaiser Joseph ll. und in der ersten Regie-
rungszeit des Kaisers Franz. ln den Sechziger Jahren, als ich an die
Akademie berufen wurde, war das Museum bereits auf etwa 6oo Abgüsse
griechischer und römischer Antiken angewachsen. Gegenwärtig weist sein
Inventar über 1400 Nummern aus und die Sammlung füllt, außer der
säulengetragenen Aula, noch acht Säle des neuen Akademiegebäudes, mit
im Ganzen ungefähr 1470 Quadratmeter Bodenßäche. Der Zweck der
Sammlung ist bestimmt normirt: sie hat in ihrer gegenwärtigen Verfassung
den Lehrbedürfnissen der Akademie und der archäologischen
Lehrkanzel der Wiener Universität gemeinsam zu dienen; der
Professor der classischen Archäologie an der Universität hat neben den
Vertretern der Akademie in der Verwaltungscommission des Museums
Sitz und Stimme. Seinem doppelten Zweck entsprechend, hat das Museum
auf die classische Kunst der Griechen und der Römer das Hauptgewicht
zu legen. Diese soll in ihm durch die künstlerisch mustergiltigen und für
das vergleichende und geschichtliche Studium wichtigsten Denkmäler
möglichst ausgiebig repräsentirt werden. Das orientalische und christ-
liche Alterthum, die mittelalterlichen Stile müssen zurückstehen, und von
den modernen Kunstepochen erhebt nur noch die Glanzperiode der italie-
nischen Renaissance auf eine reichere Vertretung Anspruch. Mit der Zeit
wird es möglich sein, die Hauptwerke Donatellds und Michelangelds
neben denen der hellenischen und römischen Kunst vollzählig zu ver-
einigen und so wenigstens die beiden Höhepunkte in der Geschichte der
Sculptur in der Sammlung würdig zur Darstellung zu bringen.
Auch bei der Gründung des Oesterreichischen Museums für
Kunst und Industrie hat sich sofort das Bedürfniss einer Sammlung irou