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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 8)

in jener Bedeutung, welche sich in der Redensart ausdrücke: dass man an Etwas Ge- 
schmack finde; und die Aufgabe seiner weiteren Auseinandersetzungen sei, darzulegen, 
welchen Einfluss 'eser Geschmack in des Wortes weitester Bedeutung und zwar im sub- 
jectiven wie objectiven Sinne auf die Entwickelung der wirthschaftlichen Beziehungen 
der Menschen, das ist auf Pruduction, Consumtion und Verkehr austibt. Der Redner 
charakterisirt hierauf den Antheil der einzelnen Sinne an der Bethatigung des Geschmackes, 
sowie an dem daraus entstehenden Wunsche, den Geschmack zu befriedigen. Die Mog- 
lichkeit diesen Wunsch zu erfüllen, und zwar in immer steigendem Maße zu erfüllen, 
sei dem Menschen durch die Müglichkeit zu erfinden gegeben. An die ursprünglichen 
Ertindungen schloss sich die Erkenntniss von der Nützlichkeit der Anhäufung von Vor- 
rathen sowie von der Möglichkeit, dass auch Einer für den Andern arbeiten könne; so 
entstanden Capital, Theilung der Arbeit und Tauschverkehr, die Anfänge und Grund- 
lagen des Wirthschaftslebens. Dabei spielte aber die Hauptrolle das Bestreben, sich das 
Leben angenehmer zu gestalten. Es waren also die ersten Regungen des Geschmackes, 
welche in Verbindung mit der Fähigkeit des Erfmdens von dem rein thierisch-instinc- 
tiven Triebe zur Erhaltung der eigenen Existenz den Menschen ernporhob zur zweck- 
bewussten Arbeit, zur wirthschaftlichen Production; und wieder war es nur die weitere 
Entwickelung des Geschmackes, welche von Stufe zu Stufe die Genussfähigkcit und mit 
dieser die Zahl der Bedürfnisse steigernd, auch den Werth und die Zahl der Kräfte, 
welche für die Befriedigung dieser Bedürfnisse in Verwendung kommen, entsprechend 
erhöhte und damit auch die Mbglichkeit der Erhaltung ungezahlter Mengen von mensch- 
lichen Existenzen schuf. welche ohne diese Vorbedingung theils'nie das Licht der Welt 
erblickt hatten, theils elend zu Grunde gehen müssten. Darin liege die wirthschaftliche 
Rolle und zugleich der wirthschaftliche Werth des Geschmackes. -- Im zweiten Vortrage 
sprach Redner zunächst von der mit der Cultur steigenden Empfänglichkeit und Genuss- 
fahigkeit der Menschen; er gab eine kurze Charakteristik des Luxus und wies hiebei 
nach, dass fast Alles, was heutzutage in civilisirten Landern bis zu den untersten Classen 
hinab als berechtigtes und unabweisbares Bedurfniss anerkannt wird, ursprünglich Ge- 
genstand des Luxus gewesen; er sprach von den Ausartungen des Geschmackes und 
von den schädlichen Folgen derselben, und wies sodann nach, wie sehr eine allgemeine 
Hebung des Geschmackes innerhalb der berechtigten Grenzen durch die daraus ent- 
stehenden Wechselbeziehungen das Niveau des allgemeinen Wohlstandes und der all- 
gemeinen Zufriedenheit hebe. Die bisher hauptsächlich besprochene Empfänglichkeit für 
Genüsse in Verbindung mit der daraus hervorgehenden Begehrlichkeit bezeichnete der 
Vortragende als receptiiien Geschmack und stellt diesem gegenüber die Fähigkeit, solche 
Dinge zu erzeugen, welche den Genuss, für den jene Empfänglichkeit und Begehrlichkeit 
vorhanden ist, gewähren können; diese Fähigkeit nennt er den productiven Geschmack. 
Der wichtigste und wirthschaftlich werthvollste Bestandiheil des productiven Geschmackes 
sei die Erfindung, weil sie das eigentlich werthschaffende Element auf dem Gebiete 
des Geschmackes darstelle. lm einzelnen Producte sei die iverthschatferide Rolle des 
erfindenden Geschmackes um so wichtiger, je großer der Unterschied zwischen dem 
Preise des Productes und dem des dazu verwendeten Materiales sei. Andererseits sei 
auch der Werth der Erfindung ein um so höherer, je mehr Personen der erfundene 
Gegenstand gefallt, und den wirthschaftlich höchsten Platz auf diesem Gebiete nimmt 
ein, wer einen Typus schafft, der sich die Welt erobert. Wenn nun in einem Volke 
der productive Geschmack zu einer Nationaleigenschaft geworden sei, so erhalte dadurch 
dasselbe eine große wirthschaftliche Superioritat über die anderen Volker. Redner wies 
hierauf an verschiedenen Beispielen den concreten Werth bestimmter productiver Ge- 
schmacksaußerungen nach und kam zu dem Schlusse, dass die Hebung des productiven 
Geschmackes ein im wirthschaftlichen Interesse des Volkes anzustrebendes Ziel sei. Das 
wirthschaftliche Princip, nach welchem hiebei vorzugehen, findet er darin, dass man die 
geschäftlichen Hoffnungen, welche den Antrieb zu einer Thatigkeit productiven Ge- 
schmackes gehen, au_s dem Gebiete des Glückes oder blinden Zufalles auf den Boden 
einer vernünftigen Wahrscheinlichkeitsrechnung führe, beziehungsweise diesen Boden für 
sie schaffe. Dies sei aber Aufgabe der_Erziehung im großen Style. Nach weiterer Aus- 
führung dieses Gedankens kam Redner darauf zu sprechen, wie wichtig es sei, auch bei 
solchen Producten, welche für sich nicht in das Gebiet des Geschmackes fallen, gefällig 
auszustatten, damit durch die äußere Erscheinung die Begehrlichkeit des Käufers erweckt 
werde. Das Gesammtergebniss der Auseinandersetzungen des zweiten Vortrages fasste 
Redner in dem Satze zusammen: Der recepiive Geschmack, d. i. die Empfänglichkeit für 
die mannigfaltigsten Genüsse durch Sinneswahrnehmung und die daraus entstehende 
Begehrlichkeit bilden das Ausnützungsobject für den productiven Geschmack, d. i. die 
Fähigkeit, solche Gegenstände oder Combinationen von Gegenständen zu erhnden, welche 
Genuss zu erzeugen im Stande sind. Die gegenseitige Steigerung dieser beiden psycho- 
logischen Eigenschaften führt zur Entwickelung der wirthschaftlichen Beziehungen. Für 
den productiven Geschmack aber ist die Grundlage des materiellen Gedeihens das rich- 
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