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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 108)

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Imitationen von Venetianischen Spitzen sich beschäftigt hatte. Colbert ging 
bei seinem Interesse, die ausländischen theuern Spitzen auf französischem 
Boden angefertigt zu sehen, noch weiter, indem er sein Schloss Lonray 
(Orne) bei Alencon der obengedachten Künstlerin als Atelier zur Herstel- 
lung von imitirten Spitzen einräumte. Mm. Gilbert begann wirklich im 
Jahre 1665 im Schloss Lonray, umgeben von 30 geübten Spitzenmache- 
rinnen, die man mit grossen Kosten aus Italien hatte kommen lassen, den 
points de Venise auf französischem Boden Concurrenz zu machen. Der 
gewagte Versuch gelang vollständig und nach Ablauf einiger Zeit hatte 
Colhert die Genugthuung, dass er seinem Souverain die ersten grossartigen 
Leistungen der Mm. Gilbert im Schlosse zu Versailles in einer Ausstellung 
vorlegen konnte. Ludwig XIV. war mit diesen unerwarteten Erfolgen, die 
verführerischen ausländischen Spitzen im eigenen Lande anzufertigen, 
äusserst zufrieden und befahl, dass man diese gelungenen Imitationen von 
Venetianischen, Genueser und Spanischen dentelles fernerhin points de 
Fmnce nennen sollte und dass fortan am Hofe nur allein diese neuen 
Spitzen der Mm. Gilbert getragen werden durften '). Im Jahre 1666 erschien 
daraufhin eine königliche Ordonnanz, welche gesetzlich bestimmt, dass in 
den Städten Quesnoy, Arras, Reims, Sedan, Chäteau-Thierry, Loudun, 
Alencon, Aurillac und in anderen des Königreiches Spitzen-Manufacturen 
für Herstellung von dentelles, sowohl angefertigt mit der Nadel, als auf 
dem Kissen geklöppelt, eingerichtet werden sollten, die sich zur Aufgabe 
zu stellen hätten, Spitzen in der Weise von Venedig, Genua, Ragusa und 
den benachbarten Ländern herzustellen, und dass man diese imitirten 
Spitzen in Zukunft points de France zu nennen hätte. 
Hiermit wäre in kurzen Ztigen der Ursprung der Spitzenfabrication 
auf französischem Boden angedeutet. Dem klugen Colbert war es also 
vollständig gelungen, für die stets wechselnde Mode den Schwerpunkt der 
Spitzenfahrication nach Frankreich hin zu verlegen und eine gewinnreiche 
Industrie seinem Vaterlande tributpilichtig zu machen, wodurch Jahrhun- 
derte lang tausend und abermals tausend fleissige Hände in den indu- 
striellen Städten und den gebirgreichen Gegenden des Landes lohnende 
und anregende Beschäftigung fanden. Mit Recht konnte daher gesagt wer- 
den, dass die Spitzenfabrication für Frankreich das geworden sei, was 
ehemals die Goldminen von Peru für Spanien waren. f 
Was nun zunächst den merkantilen Vertrieb von kunstreich gewirkten 
Spitzen auf französischem Boden betrifft, so ist hier noch hinzuzufügen, 
dass seit der letzten Hälfte des XVII. Jahrhunderts der Absatz und der 
Verkauf derselben ausschliesslich einer Corporation von Kaulieuten zu 
Paris gehörte, welche sowohl durch wandernde Kleinhändler, als auch in 
einzelnen Städten die I-Iauptmärkte für ihre werthvolle Kunstindustrie inne 
hatten. So galten gegen Schluss des XVlI. Jahrhunderts in Frankreich 
') Mämoires histor. sur la ville d'Alenqon, par M. Odolant-Desnos. Mengen 1787.
	        
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