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Der in unserem Zeitalter des Dampfes in rastloser Eile producirende
Industrielle, in steter Jagd nach technischen Vervollkommnungen begrilfen,
um der harten Concurrenz die Spitze bieten zu können, sieht nun sein
Heil wo anders, er stopt den Mechanismus seiner Fabrik und schaltet
neue Kräfte ein; er sucht künstlerische Hilfe, kunstgewerbliche
Mitarbeiter.
Da ist nun die Gasse, in welche die große Masse unserer Kunstschüler
geschoben werden muss. Lassen wir sie nicht alle nur immer in den
höchsten Problemen der Kunst gaukeln - Viele sind berufen, Wenige
auserkoren. Die Kunstindustrie, das fahrikatorische Kunstgewerbe
nimmt sie alle auf - zu ihrem Heil.
Denn nun erblüht, wie gesagt, in diesem Bunde der Industrie mit
der Kunst der wahre Segen unserer Kunstbestrebungen, unserer Kunst-
schulen. '
"Selbstidas unbedeutendste, in Massen erzeugte Product wird schön,
der ärrnlichste Haushalt gewinnt an Schmuck, der Luxus, rnit ihm die
Gesittung und Cultur halten Einzug auch in die Arbeiterwohnung.
' Und was ist da im Hsusrathe das unentbehrlichste, das einer Ver-
schönerung, Veredlung am nächsten unterworfen sein wird - unsere Ge-
räthe, unsere Gefäße.
Was ist auch unter allen Nutzobjecten geeigneter zu künstlerischer
Ausschmückung als das Gefäß? Die erste Regung menschlicher Kunst-
fertigkeit" bethätigte sich an den Gefäßen und unter den drei Stoffen,
welche bisnun der Gefäßbildnerei dienten, Glas, Metall und Thon, kommt
wieder dem letzteren, dem Thone, die größte Bedeutung zu.
Wenn wir uns heute, alle insgesammt, in allen Lebensverhältnissen
schöner Nutzgeschirre zu erfreuen haben, - und vergleichen wir doch,
um das so recht deutlich vor Augen zu haben, irgend ein heutiges ge-
wöhnliches Porzellan- oder Fayenceservice rnit den alten plumpen Majolika-
gefäßen, die uns aus den vorigen Jahrhunderten überkommen sind (ab-
gesehen von den wenigen Decorationsstlicken, die unsere Museen zieren),
- wenn wir heute in bürgerlichen Haushalten Nutzgeschirre sehen, wie
sie vor 200 Jahren keine Flirstentafel aufweisen konnte, wenn die Schön-
heilt unserer Thongefäße oft ihre Zweckmäßigkeit vergessen macht und
sie zu Objecten rein ästhetischen Wohlgefallens werden lässt, als all-
gemeinen Schmuck und Zier für Häuser, Gärten, Prunksäle und Wohn-
räume, so haben, wir dies nicht einem Ueberragen unserer Kunst allein,
wir haben esyvornehmlich dem Bunde von Kunst und Industrie zu danken;
die Kunst ist in die keramischen Fabriken eingezogen, es wird Schönes,
und viel, Schönes fabricirt.
l Welch' ein gewaltiger Unterschied zwischen der Töpferwerkstätte
Palissy's oder einem italienischen Majolika-Atelier des 16. Jahrhunderts
und einer heutigen Fayence- - sagen wir Kunstfayeuce-Fabrikl