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die Aneignung korperlicher Fertigkeiten ankommt '), und dass die Aufnahm; du Uutgr.
richts in den weiblichen Handarbeiten bei Madchen in den Lehrplan der Volkeuhulg
den puristiachen principiellen Standpunkt weit mehr altern-t, als die in An! 5,.
brachte Unterweisung der Kinder in gewissen manuellen Fertigkeiten, welche ihm, bgi
Erlernung eines Gewerbes spater auch zu Gute kommen. Es wir; endlich noch zu
erwähnen, dass der in diesem Punkte durch die Novelle vom Jahre 1883 dlludings leider
rnoidihcirte Q. Jo des Volksschulgesetzes vom 14. Mai 1869 ausdrücklich die Facultät
enthielt, Fachcurpe für gewerbliche (sowie für landwirthichaftliche) Ausbildung mir
der Volksschule so zu vereinigen, dass sie auch den Kindern im schulpflichtigen Alter
zugänglich seien "). _
Angesichts de; Eingangs geschilderten bedauerlichen thatsachlichen Verhältnisse,
angesichts der Nnghwendigkeit, die lpngere Schulpflicht, an welcher zum Schaden des
Volkes so arg gerüttelt wurde, mit den hedurfnisscn des Lebens in Einklang zu bringen,
soll man sich umsoweniger auf den rein doctrinaren Standpunkt stellen, als ja das Princip
blos theoretischer allgemeiner Bildungsvermittlung, nirgends und'_so auch nicht bei uns
in der Vollißßbwle in voller Reinheit zur Durchführung gelangen kann.
Was nach rnejner Ansicht die Vertheidiger des Handfertigkeitsunterrichtea in der
Volksschule heute verlgngen sollen, darf ebensnwenig auf eine Abkürzung der Schul-
pflicht, als auf eine Herabdrür-ltung des allgemeinen Lehrzieles zu Gunsten der An-
eignung gewerblicher Handfertigkeitcn hinauslaufen. Es darf ebensowenig darnn gedacht
werden, die Volksschule zu einer gewerblichen Eachschule zu machen, als etwa den Hand-
fertig keitsuntorricht heute allgemein einzuführen.
Die achtjährige Schulpßicht soll nicht verkümmcrt werden und soll sich recht im
Volke einlebsn. Nur gewisse Handfertigkeiten, deren Unterweisung ähnliche erziehliche
Zwecke verfolgt wie das Zeichnen, sollen in's Auge gefasst werden und heute soll man
nichts mehr beanspruchen, als damit einen möglichst ausgedehnten Versuch anzustellen,
dessen Erfolge unbefangen beobachtet werden, um daran die weiteren Schritte anzuknüpfen.
Diese Versuche aber soll man in jeglicher Weise begünstigen.
Die Ertheilung eines Handfertigkeitsunterrichtes in solchen Volks! (resp. Bürger)
Schulen, wo die Bedingungen dazu vorhanden sind, erscheint als das wirksamste Agita-
tionsmittel für die Popularisirung der achtjährigen Schulpflicht, da die Bevölkerung gerne
ihre Kinder dioßchule besuchen lassen wird, in welcher sie auch Fertigkeiten lernen,
welche sie zur rascheren Aneignung gewerblicher Hantirungen befähigt, ihre praktische
Lehrzeit im Gewerbe also abkürzt und sie früher erwerbsflhig macht.
Die Einwendung, dass die Volksschule nicht der Ort sei, um sich das Handwerk
anzueignen, passt keineswegs für unseren Fall.
Fa ist ja nicht gedacht, dass die Volksschule Schneider, Schuster, Tischler,
Drechsler u. s. w. liefert. Das kann sie allerdings nie! Wohl aber gibt es eine Reihe
von Handfertigkeiten, deren Unterweisung in der Schule möglich ist und welche mit
kleinen Modii-icationen in der gewerblichen Werkstätte in Anwendung kommen, deren
Aneignung also dem Jungen für die ,kunftige Erlernung der gewerblichenl Hantirung
zu Gute kommt, die aber zugleich den Fnrmensinn, das Auge schärft, und somit auch
von eminentem pädagogischen Nutzen sind. Die vielfach in anderen Ländern gesammelte
Erfahrung spricht dafür - und es ist auch an sich einleuchtend, dass das Modelliren,
das Schnitzen, die einfache Holz- (auch gewisse Metalb) Bearbeitung, auch Cartonnage-
und Flechtarbeiten, oder andere ähnliche Fertigkeiten je nach Neigung oder Bedürfniss
gewisser Bevölkerungskreise neben den allgemein bildenden theoretischen Lehrfachern
mit bestem Erfolge geübt werden können, ohne der Erreichung des allgemeinen Lehr-
zieles Abbruch zu thun.
Auf Grund der so gesammelten Erfahrung wird übereinstimmend constatirt, dass
die Einfügung solcher Lehrcurse den Schüler nicht nur nicht ermüdet, sondern dass
diese Abwechslung der Beschäftigung ihn für die Aufnahme des trockeneren Lehrstofes
der allgemein bildenden Facher leichter empfanglich und geeigneter macht, dem theo-
retischen Unterrichte aufmerksam und daher auch gerne zu folgen.
Die Auswahl der zu lehrenden Fertigkeiten, die Richtung des betreffenden Unter-
richtes wird sich immerhin ohne pädagogischen Naehtheil nach den gewerblichen Ver-
haltnissen der betreffenden Oertlichkeif richten können. Insbesondere wo Hausindustrie
in einer Bevölkerung wurzelt, wird sich der Unterricht an diese enge anschließen können.
Freilich gibt es große Schwierigkeiten in Bezug auf die Beschaffung der
Lehrkräfte sowie auf die Aufbringung der Kosten zu beseitigen. Unüberwindlich
') Ein künstlerisches Ziel verfolgt der Zeichenunterricht in der Volksschule
gewiss nicht.
") Die Notgelle vom Jahre 1883 gestattet nur die Einfügung specieller Lehrcurse
für die der Schulpflichtigkeit entwachsene Jugend.