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sammengesetzt. Ferner ein Rankenwerk, welches, im Allgemeinen an
Pflanzenformen erinnernd, doch keineswegs irgend welchem natürlichen
vegetabilischen Gebilde nachgeformt ist, sodann eine Combination der
beiden genannten Arten, so dass das feine Rankenwerk in anmuthiger
Weise zwischen den ersterwähnten Litzen hindurch gezogen erscheint.
Auch die Litzen selbst erfahren nicht selten eine Bereicherung durch
angesetzte blattähnliche Formen. Die combinirte zuletzt angeführte Art
könnte man füglich mit dem Contrapunkte, dem polyphonen Satze in der
Musik vergleichen; zwei Melodien klingen hier, sich gegenseitig unter-
stützend, zu vollkommener harmonischer Wirkung ineinander.
Die Maureske ist ein vollkommenes Flachornament; sie bedarf, um
zu ihrer vollen Geltung zu gelangen, keinerlei Unterstützung durch
irgend welche Schattengebung. Dunkel von hellem Grunde oder hell von
dunklem sich abhebend, kann sie in vielen Fällen sogar jeder reicheren
Farbengebung vollständig entbehren.
Im Falle sie durch die Mittel der Plastik dargestellt erscheint, wird
ihrem Charakter als reines Flachornament dabei keinerlei Eintrag gethan,
sie bedarf ja hier keiner irgend wie die körperliche Rundung oder die
Modellirung des Innendetails andeutenden plastischen Behandlung.
S0 kam sie zur Geltung, so lange sie in ihrer reinsten, durch
keinerlei unnütze Nebeneffecte veränderten Form auftrat; als sie mit der
Zeit derartige Modificationen erfuhr, war auch die retograde Bewegung
ihrer Entwickelung eingetreten. Ein Beispiel derart, welches ich hier
gelegenheitlich erwähnen will, bietet eine Folge von Kupferstichen, zu
Vorlagen bestimmt, des Titels: nNeu inventirtes Laub und Bande]-
werck vor Silber-Arbeiter, zu finden in Nürnberg bei
Hieronimo Bölmann."
Hier erscheinen die Details des mauresken Ornamentes schon durch-
wegs plastisch gedacht, vielleicht in Folge einer Concession an die Technik
des Treibens in Metall, welche wohl zu einer Umbildung der, wie schon
gesagt, nur durch ihre Linienführung zur Geltung gebrachten Formen
führen konnte.
Es scheint hier die Erklärung am Platze zu sein, dass im Nach-
folgenden durchgehends unter Linie die sichtbare Grenze einer Fläche
verstanden sein soll; nicht etwa der mehr oder minder breite Strich, das
gewöhnliche Versinnlichungsmittel der idealen math em atisch e n Linie.
Da ohne das Vorhandensein von sichtbaren scharf begrenzten
Flächen unsere Linie für das Auge wahrnehmbar überhaupt nicht gedacht
werden kann, so ist erklärlich, dass wir es bei Allem, was dem Auge als
Linienführung wahrnehmbar sein soll, zunächst mit geeignet begrenzten
Flächen von verschiedenem Lichtwerthe zu thun haben müssen. Solche
Flächen sind es auch, welche uns die nähere Untersuchung des Begriffes
Schön, in Bezug auf Linien an sich in Anwendung gebracht, er-
möglichen.