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der stattlichen Seidenzucht auf ferraresischem Gebiete an Rohmaterial kein Mangel war,
und alle Welt damals italienische Seidenstotfe begehrte, erscheint der rasche und glan-
zende Aufschwung der jungen Industrie ganz natürlich. Zuerst fand man seine Rechnung
auch ohne Statuten, später zwang die steigende Concurrenz, mit der die Nachfrage nicht
gleichen Schritt hielt, zu zunftmäßiger Abschließung. Anfangs zum Segen, wird die Zunft
wie anrlerwärts mit der Zeit zum Hemmschuh einer gedeihlichen Entwickelung, während
anderseits der Fiscus den veränderten Verhältnissen nicht Rechnung tragen will. lndu-
striüse Kaufleute, die sich eine gewisse Unabhängigkeit von den Zunftregeln zu erringen
wissen, bringen es noch zu vorübergehendem Aufflacltern, und als sich endlich nichts
mehr erpressen lässt, greift die Regierung mit Enqueten und Subventionen ein-zu spät.
- Neben der Schilderung des historischen Vorganges finden sich auch Excurse über die
jeweilige Ornamentik eingestreut, denen aber die allzu blumenreiche Sprache leider den
größten Theil ihres Werthes raubt. Zu größerem Danke hatte uns der Verfasser ver-
pflichtet, wenn diese seine Excurse durch Beispiele illustrirt waren: wir hatten ihm
dafür die schlechten Reproductionen von Reggianer Fabriksmarken gerne geschenkt.
Rgl.
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Die mittelalterliche Kalenderillustration, ihr Ursprung und ihre Entwicke-
lung bis zur vollständigen Ausbildung der Typen im Xl. Jahrhundert.
Von Alois Riegl. (Separatabdr. aus den "Mittheilungen des Instituts
für österr. Geschichtsforschungn, X. Bd., i. Heft.) Innsbruck, Wagner,
1889. S". 74 S.
Der Verfasser beginnt seine Abhandlung mit der Erläuterung des Begriffes des
Kalenders aus seiner Bestimmung zur Feststellung der regelmäßigen Wiederkehr von
Verrichtungen ländlicher oder häuslicher, politischer oder sacraler Art, und aus seiner
Grundlage, welche mit ihrem Bezug auf Sonne und Mond rein astronomischer Natur
ist. Durch den mehr augenfälligen Umlauf des Mondes und seine Monatsphasen wurde
die Aufnahme des Mondjahres für ein Kalendersystem erleichtert und die nach dem-
selben festgesetzten sacralen Traditionen verhinderten auch spatethin das Aufgeben des
Mondiahres, als man das für den aclterbautreibenden Landmann viel wichtigere Sonnenjahr
bereits schärfer und rationeller zu berechnen und einzutheilen wusste. Zu dieser Ein-
theilung dienten zwolf Sternbilder, der Thierkreis, an welchen die Sonne geocentrisch
genommen vorüberzieht und die in diesen Sternbildern von der Phantasie gesehenen
Wesen wurden alsbald die ersten und natürlichsten Repräsentanten der zwölf Monate des
Sonnenjahres.
Nach den Ausführungen des Verfassers waren es die Griechen der hellenistischen
Zeit, welche die beiden Elemente des Kalenderschmuckes ausbildeten, nämlich l. die
Verknüpfung des Kalenders mit dem Himmel als seiner astronomischen Grundlage ver-
mittels der Thierkreiszeichen, und z. die Verknüpfung mit dem menschlichen
Erdenleben, gemäß der Gebrauchsbestimmung des Kalenders, durch ftgürliche Darstel-
lungen, welche sich auf der Menschen Thun in den einzelnen Monaten beziehen, die
sogenannten Monatsbilder. Diese beiden Elemente blieben die unverrückbaren Brenn-
punkte der weiteren Entwickelung des Kalenderschmuckes sowohl in der römischen
Kaiserzeit als auch im Mittelalter und dies aus den erhaltenen Denkmälern zu erweisen,
war die Hauptaufgabe, welche sich der Verfasser gestellt und in hochst anerkennens-
werther Weise gelost hat.
Zu diesem Behufe bespricht er zunächst einen Festkalender aus dem t.-z Jahr-
hundert vor Chr., den Matmorfries an der Kirche Panagia Gorgopiko zu Athen, an
welchem bereits die Monate durch Thierkreiszeichen, und die jeweiligen Beziehungen
zum menschlichen Leben durch Figuren ausgedrückt sind, welche eine bestimmte Hand-
lung vornehmen. Von der richtigen Ansicht ausgehend, dass die römische Kaiserzeit als
eine Fortsetzung der hellenischen Cultur aufgefasst werden kann, werden nach einer
schwierigen Untersuchung über den römischen Bauernkalender und die Herübernahme
des griechischen Zwolfgotterkreises als Repräsentanten der Monate das Menologium ru-
sticum Colotianum von Neapel und die Gabinische Ara im Louvre beschrieben. Sodann
kommt der Kalender des Filocalus, des Chronographen von 354, an die Reihe, welcher
seither von Strzygowski im ersten Ergänzungshefte zum Jahrbuch: des kais. deutschen
archäologischen Institutes mit Wiedergabe der erhaltenen Copien dieses Kalenderschmuckes
veröffentlicht wurde. Es wird die Authenticität der Verse bei den Bildern des Filocalus
untersucht und das allmälige Ueberwiegen der Bilder aus dem Profanleben der Menschen
und dem Naturleben der Thiere über die Festdarstellungen der älteren Kalender in die
rechte Beleuchtung gerückt. Nach kurzer treffender Charakteristik der Uebergangserschei-
nungen in den Handschriften aus den ersten Jahrhunderten des christlichen Mittelalters,
mit Bezug auf ihre Stellung auf den Denkmälern der antiken Literatur und Kunst, werden