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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1896 / 3)

dann dürfen wir die Geschichte der Kunsrnicht erst an die ältesten 
historischen Denkmäler anknüpfen, sondern müssen die Anfänge dort 
suchen, wo sie thatsächlich yorliegen: in den primitiven Culturen der 
Naturvölker, die nach dieser Richtung vorbildlich sind. -- Sollte, wie zu 
erwarten steht, Grosse's Versuch, der wohl nochlmanche Flüchtigkeiten 
aufweist, zu weiteren Arbeiten in dieser Richtung reizen, so würde 
namentlich die Erforschung der Fortschritte nach technischer Seite, 
die sich im Zusammenhang mit dem vorher angedeuteten veränderten 
Wirthschafts-System ergeben, und die Klarlegung der daraus resul- 
tirenden künstlerischen Wandlungen manches wichtige Resultat zu 
Tage fördern. 
Neben den wirthschaftlichen Veränderungen sind es die kriege- 
rischen und friedlichen Berührungen mit Nachbar Völkern, die sich 
als mächtige Factoren in der Entwicklung des primitiven Schmuckes 
erweisen. Wiewohl hier die Thatsachen in jedem einzelnen Falle anders 
liegen, wird sich Manches doch so oft wiederholen, dass es als typisch gelten 
kann. So fördert der Krieg zunächst die Entwicklung des Schreck- 
schm uc k e s. Diese Art des Schmuckes knüpft mit Vorliebe an den Entsetzen 
erregenden Eindruck gewisser Thierbildungen an, und sucht deren charak- 
terische Formen mit dem menschlichen Leib, besonders mit dem Haupte, auf 
das die Blicke des Gegners vor Allem gerichtet sind, in Verbindung zu bringen. 
Dadurch kommen neue wichtige Elemente in den Schmuck, lnhalt und Form 
erfahren nach einer ganz bestimmten Richtung wesentliche Bereicherungen, 
und manches Schmuckmotiv, das aus ursprünglichem Schreckschmuck her- 
vorgegangen, fasst allmälig derart Wurzel, dass es in den gewöhnlichen 
Schmuck übergeht. - Ein Ueberbleibsel solchen Sehreckschmuckes in 
historischer Zeit ist vielleicht die Uräusschlange der ägyptischen Könige, 
die sich drohend über deren Haupt emporrichtet, und ebenfalls als 
Schreckschmuck ist das Gorgoneion der Griechen in den Fällen, wo es 
im Schmuck auftritt, aufzufassen. 
Neben dem Schreckschmuck entsteht unter dem Einfluss des Krieges 
auch Schutzschmuck. So finden wir z. B. bei den Einwohnern Neu- 
Guinea's verschiedenartigen Brustkampfschmuck, der aus Schildpatt, Eber- 
hauern und Abrusbohnen gebildet ist"). Weitaus häufiger und mannig- 
facher als wirklicher Schutzschmuck, der naturgemäß bald in eine Art 
Rüstung oder Bekleidung übergeht, entwickelt sich unter dem Einfluss 
der Kriegsgefahren, sowie wirklicher oder eingebildeter Gefahren über- 
haupt, ein sozusagen idealer Schutzschmuck, bestehend aus unheil- 
abwehrenden Zeichen und Symbolen, ein mit Zauberei, religiösen An- 
schauungen und allerlei mystischen Dingen zusammenhängender Schmuck, 
der,das weite dunkle Gebiet des Amulettwesens umfasst. Das Amulettwesen, 
das in historischer Zeit so viel Unerklärliches aufweist, Formen und Dinge 
') Finsch, Ethnologischc Erfahrungen, S. 99 u. Tnf. XVI, l.
	        
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