dann dürfen wir die Geschichte der Kunsrnicht erst an die ältesten
historischen Denkmäler anknüpfen, sondern müssen die Anfänge dort
suchen, wo sie thatsächlich yorliegen: in den primitiven Culturen der
Naturvölker, die nach dieser Richtung vorbildlich sind. -- Sollte, wie zu
erwarten steht, Grosse's Versuch, der wohl nochlmanche Flüchtigkeiten
aufweist, zu weiteren Arbeiten in dieser Richtung reizen, so würde
namentlich die Erforschung der Fortschritte nach technischer Seite,
die sich im Zusammenhang mit dem vorher angedeuteten veränderten
Wirthschafts-System ergeben, und die Klarlegung der daraus resul-
tirenden künstlerischen Wandlungen manches wichtige Resultat zu
Tage fördern.
Neben den wirthschaftlichen Veränderungen sind es die kriege-
rischen und friedlichen Berührungen mit Nachbar Völkern, die sich
als mächtige Factoren in der Entwicklung des primitiven Schmuckes
erweisen. Wiewohl hier die Thatsachen in jedem einzelnen Falle anders
liegen, wird sich Manches doch so oft wiederholen, dass es als typisch gelten
kann. So fördert der Krieg zunächst die Entwicklung des Schreck-
schm uc k e s. Diese Art des Schmuckes knüpft mit Vorliebe an den Entsetzen
erregenden Eindruck gewisser Thierbildungen an, und sucht deren charak-
terische Formen mit dem menschlichen Leib, besonders mit dem Haupte, auf
das die Blicke des Gegners vor Allem gerichtet sind, in Verbindung zu bringen.
Dadurch kommen neue wichtige Elemente in den Schmuck, lnhalt und Form
erfahren nach einer ganz bestimmten Richtung wesentliche Bereicherungen,
und manches Schmuckmotiv, das aus ursprünglichem Schreckschmuck her-
vorgegangen, fasst allmälig derart Wurzel, dass es in den gewöhnlichen
Schmuck übergeht. - Ein Ueberbleibsel solchen Sehreckschmuckes in
historischer Zeit ist vielleicht die Uräusschlange der ägyptischen Könige,
die sich drohend über deren Haupt emporrichtet, und ebenfalls als
Schreckschmuck ist das Gorgoneion der Griechen in den Fällen, wo es
im Schmuck auftritt, aufzufassen.
Neben dem Schreckschmuck entsteht unter dem Einfluss des Krieges
auch Schutzschmuck. So finden wir z. B. bei den Einwohnern Neu-
Guinea's verschiedenartigen Brustkampfschmuck, der aus Schildpatt, Eber-
hauern und Abrusbohnen gebildet ist"). Weitaus häufiger und mannig-
facher als wirklicher Schutzschmuck, der naturgemäß bald in eine Art
Rüstung oder Bekleidung übergeht, entwickelt sich unter dem Einfluss
der Kriegsgefahren, sowie wirklicher oder eingebildeter Gefahren über-
haupt, ein sozusagen idealer Schutzschmuck, bestehend aus unheil-
abwehrenden Zeichen und Symbolen, ein mit Zauberei, religiösen An-
schauungen und allerlei mystischen Dingen zusammenhängender Schmuck,
der,das weite dunkle Gebiet des Amulettwesens umfasst. Das Amulettwesen,
das in historischer Zeit so viel Unerklärliches aufweist, Formen und Dinge
') Finsch, Ethnologischc Erfahrungen, S. 99 u. Tnf. XVI, l.