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Eine besondere Aufmerksamkeit verdient Russland. Wir theilen
in dieser Nummer einen ausführlichen Bericht über das Kunstgewerbe-
Museum in Moskau mit, welchen wir in der „Gazette des Beaux-Arts" ge-
funden haben. Dass die Fortschritte Russlands auf dem Gebiete der Kunst-
indnstrie rapid sind, kann niemand leugnen, der die Pariser Ausstellung
gesehen hat, und in mancher Beziehung hat die russische Kunstindustrie
den Vorzug, eigenartige und originelle Motive in das Kunstgewerbe hin-
einzuwerfen. Wer auf den Export nach Russland arbeitet, der muss auf
die fortschreitende Bewegung, wie sie sich eben vor uns vollzieht, ge-
bührend Rücksicht nehmen.
Aus Italien mehren sich die Anzeichen einer kunstindustricllen
Bewegung. Man kann dieselbe mit Freude begrüssen; kein Volk hat so
eminente Eigenschaften für die Kunstindustrie als die Italiener. Der Hand-
werker ist dort ein geborner Künstler. Die politischen Zustände des Landes
allerdings sind wenig geeignet, einen ruhigen und regelmässigen Fortschritt
zu begünstigen und von Seite der Regierung geschieht relativ sehr wenig;
denn auch das Museum im Bargello, das jüngst in Florenz gegründet
wurde. hat vorwiegend antiquarischen Charakter, wird in wenig liberalem
Sinne verwaltet und ist mehr darauf berechnet, die Wissbegierde oder
die Neugierde der Fremden zu befriedigen, als der einheimischen Indu-
strie Impulse zu geben. Es sind keine Zeichensäle darin, es geschieht
für Pnblication der ansgezeichnetsten Werke nichts; öfter habe ich es
besucht, nie habe ich Jemanden zeichnen gesehen. Die Industriellen
klagen über das zurückgehen des Unterrichtes für Ornamentik - wie
man den kunstgewerblichen Unterricht im Zeichnen und Modelliren
in Italien nennt - in grossen Staatslehranstaltcn. Desto reger ist die
Thätigksit in Italien auf dem Gebiete der Selbsthilfe. Viele Industrielle
helfen sich kraft ihrer eigenen Intelligenz und durch ihr angebornes Ge-
schick. Von der Dirrction des Museums Correr in Venedig hat die Direc-
tion des österreichischen Museums eine Zuschrift erhalten, woraus man
ersieht, dass man in Venedig gewillt ist, einen kunstgewerblichen Unter-
richt von Seite der Municipalität zu gründen. Als noch Venedig unter
österreichischer Herrschaft stand, ging man schon mit der Idee um, die
Ornamentenschule von der Akademie vollständig zu trennen und dafür
Cine selbstständige Schule für Kunsthandwerker in Venedig zu errichten.
Es scheint, dass gegenwärtig die Municipalität ähnliches im Zuge hat.
Dieses Anlehnen der Ornauirntenschule an die akademische hat dop-
pelte Nachtheile für die Akademie und fiir die Ornamentcnschule selbst
Das Hereinziehen kunstindustrieller Bestrebungen in die rein akademi-
schen widerspricht den Tendenzen der Akademie und ihren histori-
schen Traditionen, und durch das Anlehnen von solchen Schulen an
akademische Kunst kann auch nie den grossen Bedürfnissen des Kunst-
llaudwerki-rs Rechnung getragen werden, die heute überall mächtig her-
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