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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 3)

Abb. 4. Bonnnrd: Straßenszcne, um 1895. Skizze 
zur Lithographie „Frau mit Regenschirm". 
dreißiger Jahren, machen es schon hinreichend deutlich, daß diese 
Frau gerade in ihrer theorienlreien Einfachheit für Kandinsky 
wie ein Stück mütterlicher Erde und klarer Natur gewesen sein 
muß, auch wenn sie ihn damit nicht halten konnte. Man versteht 
weiter, daß ihre gemeinsame Zeit in Murnau das Wesentliche an 
Kandinsky selbst, an seiner individuellen Persönlichkeit erweckte, 
während er später mehr zu einem experimentellen Funktionär 
der allgemeinen modernen Formproblemznik und ihres An- 
spruchs wurde. 
Kaum geringer übrigens ist der Kontrast zum späteren Kan- 
dinsky, wenn man, noch ganz mit ihm beschäftigt, als nächste 
Ausstellung die von Pierre Bonnard im Kölner Kunsthaus Lem- 
pertz, in das sie nach Braunschweig und Bremen kam, besucht. 
Sicher sind das in Anlage und Wurzel verschiedene Welten und 
Zeiten, und wahrscheinlich kann man heute kaum mehr wie 
Bonnard den Pinsel führen, weil man die Welt nicht mehr so 
sieht wie er: So heil und heiter, so ohne Sorge. Das Auge sieht 
sie heute wenigstens, von seiner im Psychischen und Geistigen 
begründeten Unrast anders. Aher wie wunderbar und reich hat 
sich die die Welt genießendc Schau Bonnards in Malerei, in „belle 
peinture" übersetzt. 
Diese Bilder sind nicht einfach „nachimprcssionistisch" oder gar 
mit spielender Leichtigkeit auf Holz, Papier und Leinwand ge- 
worfen, sondern man fühlt vielmehr deutlich, wie hier fast müh- 
selig und mit vorsichtiger Hand, Steinchen um Steinchen, touche 
um touehe, in einer Art von Mosaik der stille Glanz zum Leuch- 
ten in der Farbe gebracht wird, in dem Bonnards Auge die Welt 
verklärt sah. Da ist nichts gewischt oder bloß so hingefetzt, 
sondern wirklich ein Ganzes aus lauter echten Teilchen in eins 
gefügt. Diese Interieurs also mit den Akten am Waschtisch und 
im Spiegel, diese Landschaften von Paris, von der Seine und in 
Le Cannet, wo der damals 57jährige Künstler 1925 bis zu seinem 
Tode (1947) lebte, und eine der schönsten unter ihnen der „Gar- 
ten" (ca. 1935), der ein einziges Wunder farbigen Blühcns ist, 
sind eine Welt, die durchaus als „innerlich" bezeichnet werden 
kann, wenn sie auch auf der Erscheinungswelt basiert. Das tiefe 
Glück des Schauens und Genießens hat sie neu geschaffen. 
Anders natürlich ist solche „Neuerschaffung" auf den land- 
schaftlich motivierten Farblithos eines Alfred Manessier in der 
Ausstellung „Moderne farbige Graphik aus Paris" im Kölnischen 
Kunstverein in der Hahnentorburg. Manessier hat die optische 
Erfahrungswelt völlig in eine Dichtung umgcmünzt, in der die 
Farben und die durch sie geforderten Formen selbständige „V0- 
kabeln" sind. Aber der innere Klang ist bei ihm mit dem von 
Bonnard und nicht etwa mit dem des späten Kandinsky verwandt, 
weil nur in den ersten beiden Fällen echte Dichtung statt einer 
systematischen Tabellen-Demonstration vor sich geht. Neben 
Manessier weisen auch Maurice Esteve, Gustave Singier und der 
eigenartig derbe, aber starke Pierre Soulages persönliche bild- 
nerische Züge auf, während der mit zwölf Katalognummern ver- 
tretene Hans Hartung mit seiner Raumgraphik sich nur selbst 
variiert, Antonio Musie (der diesjährige internationale Graphik- 
Prcisträger der Bicnnale in Venedig) von der Poetik zur Ara- 
beske bloßer Stempelzeichen übcrging, Mario Prassinos trotz 
aller Dunkelheit im Dekorativcn bleibt und Zao-Wou-Ki, ein 
in Paris lebender Chinese (um hier nur die mit einer größeren 
Anzahl von Arbeiten aufschcincnden Graphiker zu nennen), seine 
Schrift-Bildzeichen in farbigen Dunst- und Schleierwolken unter- 
gehen läßt. 
Da gibt die „Histoire naturelle" von Max Ernst, deren 1925 
entstandene 40 Blätter in der Kölner Galerie „Der Spiegel", 
einer der wichtigsten Galerien Westdeutschlands, zu sehen sind, 
schon ein entschiedeneres Bild, das freilich nicht nach jedermanns 
Geschmack sein dürfte. Doch diese sozusagen der Begegnung 
mit der Holzmaserung entsprungenen Visionen einer seltsam 
starren und kalten, aber produktiven und zugleich unheimlichen 
Natur sind voller Spannung. In Max Ernst also erreicht der 
Surrealismus, man mag sonst zu ihm stehen, wie man will, eine 
Intensität des Ausdrucks für das schlechthin Fremde, um nicht 
zu sagen Feindliche, derer nur jemand fähig ist, der auch die 
Kraft dazu besitzt. Insofern halten diese nun schon über 30 Jahre 
alten Blätter den meisten aus der Hahnentorburg mehr als stand. 
Die guten und bedeutenden jedoch an dieser Stelle, vor allem 
die von Manessier, und dann eben Bonnard, die Gabriele Münters 
und der Teil von der Malerei Kandinskys, der in der Zeit seiner 
wirklichen Gemeinsamkeit mit ihr geschaffen wurde, stellen alle 
Bannung der Dämonen oder auch nur die tapfer ertragene Zwie- 
sprachc mit ihnen bei weitem in den Schatten, weil Licht, Liebe 
und Vertrauen Reicheres vermögen als die Furcht. 
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