daß die Künstler des „Blauen Reiter" als Graphiker einen ent-
schieden höheren Rang einnehmen denn als Maler. Die hart ans
Esoterische grenzende Kunst der Bewegung droht in monumen-
talen Formaten zum Teil ins Manicrierte abzurutschcmdie Gra-
phik in all ihrer Intimität hiilt sich jedoch vorzüglich.
liast noch überzeugender als der „Blaue Reiter" kommen die
Einzelpersönlieltkeiten Beckmann, Noldc, Rohlls zur Geltung.
Mit Recht sind Corinth, Holer und Max Ernst an den Rand ge-
rückt, bedauerlich ist hingegen, dall von Paula [Secker-Moder-
sohn nur zwei Blätter gezeigt werden konnten. Das graphische
Schallcn der Bildhauer Barlach und Lchmbruck ist ins rechte
Licht gerückt, wenngleich wir der Ansieht sind, daß Lehmbruck
als Radierer - im Gegensatz zu Barlaeh - viel zu sehr zeich-
nender Bildhauer bleibt, um zu „expressiven" Formen im eigent-
lichen Sinn des Wortes gelangen zu können.
Restlos befriedigend ist die Ausstellung hinsichtlich der Wahl,
Fülle und Qual "t der graphischen Arbeiten der ältesten Künst-
lervereinigung des Expressionismus, der „Brückef Im Gegen-
satz zur Esoterik des „Blauen Reiter" gelang es Kirchner,
Schmidt-Rottlull, Müller und Pechstein in der Tat, echte gra-
phische Volkskunst zu schaffen, eine lilementarsprache der For-
Egnvz Schiele, Sitzcndcs Mädchen. Aquarell, 1911, 45,3 x 32,2 cm.
(KaL-Nr. Z3).
Aus ähnlicher Geisteshaltung wie bei Kokoschka entspringt die Stim-
mung d" ses Kunstwerks: "Totale Angst, die sich formal nicht nur in den
aufgerissenen Augen, sondern auch in der [iinzwängung aller Formen
in die Zweidimensinnalitiit der Bildfläche manifestiert.
' Kulaoschka, Selbstbildnis, schwarze Kreide, 68,4 X 49,4 cm.
Nr. 19).
s Blatt zeigt den Künstler in einer typisch „cxprcssionislischcn"
:n llnltung - als den ewig Fragenden, den Sucher. Grüblcr,
lcr.
ten) oder Herbert Bayer sind sicherlich alles andere, nur
' Expressionisten und letzten lindes steht sogar die Kunst
s unter dem Zeichen einer gewissen Versachlichung des
tastischen Elementes. Unter Umständen könnte man sogar
dee, Kunst „lehrhar" zu machen, als unexpressionistiseh
ellen.
die Auswahl der Österreicher anbelangt: Daß Kokosehka
Schiele herangezogen wurden, versteht sich von selbst, Höl-
lbCT ist wirklich nur gebürtiger Österreicher, seine Kunst,
ich auf nichtösterreichisehem Boden entfaltet, gehört ent-
den in den Westen des deutschen Spraehgcbietes. Dafür ver-
mau Persönlichkeiten vom Schlag eines Kolig, der auch rein
rationsmäßig zu den geradezu „klassisehen" Vertretern des
essionismus zählt. Auch Richard Gerstl hätte gut in das Bild
esamtösterreichisehen Expressionismus gepaßt;wit' vermögen
der Ansicht des Direktors der Albertina nicht ganz anzu-
eßen, daß dieser Künstler gleichsam nur ein Post-Klimtia-
gewesen sei; ohne Zweifel war Gerstl in der Zeit unmittel-
vor seinem Tod (1908) revolutionärer als Kokoschka und
sle, man vergleiche etwa das Bildnis Zemlinsky von Gerstl
7) mit dem Selbstporträt von Schiele (1909), (s. Abb. in
6, p. 12 „Alte und moderne Kunst"). Großartig geglückt
t der Albertina die Zusammenstellung des Werkes der Künst-
ies „Blauen Reiter": Die Konlrontierung Klee-Kuhin ist
hört aulsehlußreieh, die Folge aquarellierter Postkarten
cß an Else Lasker-Schüler und vice versa gehört zu den
rhaft köstlichsten Schätzen, die uns in den letzten Jahren
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