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Internationale Sammler-Zeitung,
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werk das Merkwürdigere gewesen; damals baute man
solche Wahrzeichen ganzer Städte wie Nürnbergs
Aposteluhr oder die astronomische Uhr des Frager Rat
hauses. Die Freude am Physikalisch-Technischen erhielt
sich lange. Noch im 18. Jahrhundert entstand ein Meister
stück von vielseitiger Präzision, wie die geographische
Kunstuhr der Prager Sternwarte, die der Böhmisch-
Kamnitzer Pater Johann Klein 1754 fertigstellte. Hier
weist, wie man auf der Ausstellung sehen kann, das
Fig. 2. Taschensonnenuhr, 1456.
Zifferblatt nicht nur Stunden und Minuten, Tag und Monat,
Sonnenauf- und -Untergang, sondern man sieht, durch
eine blaue Glaskugel kunstvoll veraügenscheinlicht, auch
die doppelte Bewegung der Erde im Sonnensystem zum
Ablesen dargestellt. Natürlich zeigte man gerne dies
interessante Ineinandergreifen der vielen Rädchen, ließ
die Uhr offen oder durchsichtig verglast sich repräsen
tieren, und selbst das Zifferblatt mußte sich eine Durch
brechung gefallen lassen. Als aber die Uhr zum Woh
nungsbestandteil wurde, stieg das Gehäuse zu be
herrschender Wichtigkeit, und es mußte sich wie alle
Gemischt genug ist die Gesellschaft, die hier in
Vitrinen und auf Regalen versammelt ist. Wie behäbig
besonnen blickt die hohe Wanduhr, in massives, kunst
voll eingelegtes Gehäuse ihrer ganzen Pendellänge nach
Fig. 3. Altrömische Reise-Sonnenuhr.
cingeschlossen, auf die kleine Reiseuhr, die in ihrem
sechseckigen Gehäuse mit Glaswänden mehr einer Bon
bonniere gleicht, oder auf die runde, im Kardan hängende
Schiffsuhr alter Zeit, wo doch noch nicht der Zweck
mäßigkeitsfanatismus so wie heute alles Schmuckbedürf-
Fig. 4. Tischuhr, süddeutsch, um 1570.
anderen Möbelstücke dem Stil unterwerfen. Damit erst
fängt die Uhr das Kunstgewerbe zu interessieren an, und
so ist es erklärlich, daß in der Ausstellung des Kunst
gewerbemuseums eigentlich erst vom Barock abwärts
gerechnet wird. Leider ist die Taschenuhr nicht einbe
zogen worden; aber was heute an sehenswerten alten
Wand- und Stutzuhren in öffentlichem und privatem Be
sitz in Böhmen vorhanden ist, dürfte so ziemlich voll
ständig hier zu einer nicht so leicht wiederkehrenden Ge
legenheit zusammengebracht sein.
nis von dem hübsch ziselierten und gravierten Gehäuse
verjagt hatte. Nicht immer will die Uhr nur Uhr sein. Sie
versteckt sich in einer drehbaren Kugel ganz in die Spitze
einer künstlerischen Kreuzgruppe, oder nimmt das Ge
mälde einer ganzen Kirche zur Attrappe, wie auf jener
Darstellung des Veits-Domes (Kat. Nr. 37), wo die heute
längst entfernte Uhr des Barockturmes auch im Bilde mit
einem wirklichen. Werk eingesetzt erscheint. Bald ist die
Uhr gerahmt wie ein Bild, so daß ihr weißes Zifferblatt
überbetont aus lauter Gold biedermeicrisch hervor-
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schaut; bald verbirgt sie sich in kunstvollen Denkmals
bauten, wo zwischen Pyramiden und Wolkensäulen,
unter antikischem Gebälk und barock bewegten Figuren
gruppen ihre Existenz verwunderlich anmutet. Am
häufigsten begegnet die Lösung, daß durch schräg ab
laufende Voluten das Rund des Zifferblattes in die Wag
rechte der Standfläche übergeleitet wird (wobei gerne
auch tierische und menschliche Bildungen, als Mccr-
weibchen, Faunmasken u. a, dgl., die Vermittlerrolle
übernehmen), oder daß zwischen den tragenden Senk
rechten eines Säulengebälkes der Zylinder des Uhrge
häuses aufgehängt erscheint. Die erste Form bevorzugt
Barock und Rokoko, die letztere wird vom Klassizismus
geliebt. Dazwischen liegen die Uhren, denen Urnen,
Vasen und Pyramiden und die ovale Medaillonform das
Charakteristikon der Empirezeit aufprägen.
Und ebenso mannigfach wie die Formen ist das
Material. Meist ist es wohl das Holz, aus dem die Gehäuse
gefertigt werden. Aber nur selten erfreut man sich an
dessen natürlicher Erscheinung. Bronziert, lackiert,
kostbar eingelegt, mit Emailschildchen belegt oder mit
Beschlägen geschmückt, weiß sich das Holz zu ver
kleiden. Der schöne Alabaster und mancherlei Marmore |
oder Blume in eiligem Lauf in dem Ausschnitt des Ziffer
blattes, oder schwingt mit hundertgrädigem Ausschlag
von oben her vor den Zeigern. Hat es aber Platz, unter
der Uhr zwischen den klassizistischen Säulen zu
schwingen, dann markiert es diese Tätigkeit gerne, in
dem es sich als schwebender Engel, als Göttin auf rosse
bespannter Quadriga oder gelegentlich auch einmal (auf
einer Drei-Kaiser-U'hr von 1810) als russischer Lanzen
reiter verkleidet.
Die technische Seite ist in dieser Ausstellung leider
völlig vernachlässigt; sie liegt jenseits der Zwecke,
welche das Museum mit seiner Formensammlung ver
folgt. Immerhin findet sich eine Merkwürdigkeit, wie die
sonderbaren Sägeuhren, wo statt Feder oder Gewicht
ein schwerer gezahnter Stab die Uhr in Gang hält.
Manche der Uhren wird in ihrem Innern andere tech
nische Merkwürdigkeiten bergen, wie sie den böhmischen
Meistern, die ihren Namen stolz auf den Zifferblättern
nannten, gewiß eingefallen sind. Ein gut durchgearbeiteter
Katalog, den Kustos Dr. J i r i k mit einem klugen Geleit
wort versehen hat, nennt ihre Namen.
Von den weniger bekannten seien hier wiederge
geben: Josef Balke (geh. 1819, gest. 1902), Wenzel
big. 5. Uhren auf schiefer Ebene.
finden für die Säulen Verwendung. Auch ungewöhn
licheres Material ist indes nicht verschmäht worden.
Neben so kostbarem, wie dem Schildplatt — eine Uhr aus
der Sammlung Dr. Ludwig Picks, von seinem Sohne Dr.
Georg Pick ausgestellt, ist damit über und über bedeckt -
behauptet sich das Blech, zu Reliefs getrieben, recht gut;
ganz weiß-metallen glänzt eine Uhr aus Zinn; und selbst
verständlich fehlt die Uhr aus dem Lieblingsmaterial des
18. Jahrhunderts nicht, aus dem Porzellan, wie es zum
Beispiel die Porzellanfabriken in Chodau bei Karlsbad
und in Schlaggenwald verarbeitet haben. Und damit es
in der Ausstellung auch an einer romantisch-gruseligen
Rarität nicht fehle, sieht man die zart geschnitzte Uhr aus
Totengebein, die ein Sträfling von Karthaus in einsamer
Zelle kunstvoll zusammengefügt hat.
Hundert Kleinigkeiten auch am Zifferblatt, und be
sonders am Pendel helfen die Mannigfaltigkeit dieser
Uhrenausstellung vergrößern. Malerei und Ziseleurkunst
haben sich zwischen den zwölf Ziffern ausgetobt. Und
wenn bei den hohen Wanduhren das Pendel mit seinem
kleinen Ausschlag vornehme Zurückgezogenheit mar
kiert, so tickt es bei den Pendulen auf dem Kaminsims
und der Kommode, wenn sie wirklich int Gang sind, nicht
nur heller und fröhlicher, es blinkt und glitzert auch als
winziger Spiegel und Lichtreflektor, als Brillantsternchen
Balke (geb. 1790, gest. 1864); die Uhrmacherfamilien
Bißwanger: Johann (geb. 1787), Adam (geb. 1790),
Leopold (geb. 1740), Gervasius (geb. 1781), Bernard (lebte
im letzten Dezennium des 18. Jahrh. auf der Kleinseitc,
unter der Schloßstiege), Franzisca, Witwe aus Lissa
stammend (geb. 1787); die Familie Bozek: Jos. Johann
(geb. 1785), Franz (geh. 1809, gest. 1886), Romuald (geb.
1814, gest. 1899); Johann Deila vos (2. Hälfte des
18. Jahrh.), Josef Dcllavos (geb. um 1771), Andreas
Engelschalck (geb. um 1772), Ferdinand E n g ei
se h a 1 c k (18. Jahrh. Beg.), Johann Gabler (geb. 1717
in Libochowitz), Andreas G1 e n c k (2. Hälfte des
18. Jahrh.), Dominik Heinrich (Schluß des 18., Beg.
des 19. Jahrh.), Ludwig Heinz (geb. um 1815), Anton
Hirschau er (geb. 1725 in Prag), P. Joh. Klei n (geb.
1684 in Böhm.-Katmnitz, gest. 1762 in Prag), Josef
Kossek (1. Hälfte des 19. Jahrh.), die Uhrmacherfamilie
Londensperger: Ferdinand (2. Hälfte des 18. Jahrh.,
in der Ausstellung durch sein Meisterstück vertreten),
Johann (geb. um 1790), Sebastian Lorenz (geb. 1720 in
Prag), Andreas Müller (geb. 1780, gest. 1838), Matthäus
Oswald (geb. 1723 in Mühlhausen im Reich), Thomas
Oswald (Mitte des 18. Jahrh., vertreten durch sein
Meisterstück), Anton P ompe (18. Jahrh. Mitte), Ludwig
Richter (19. Jahrh., 1. Hälfte), Stephan Rößler