Elisabeth Rücker
Das moderne Kunstbuch-
Geistesgut und Ware
Anmerkungen 1-3
' Buch und udihandel in Zahlen. Ausgabe 1971. Hrs . vom
Börsenverein des deutschen Buchhandels Frankftlrtd. . 1971
' Die Verhältnisse in Usterreidi sind denen in Deutschland
infolge der Verlagsverflechtungen gleichzusetzen.
1 „DuMant Dokumente" und „DuMonl Aktuell".
Seit Anbeginn der Buchdruckerkunst ist das
Büchermochen kaufmännischem Kalkül und volks-
wirtschaftlichen Bedingtheiten genauso eng ver-
bunden wie dem Engagement zur Verbreitung
von Geistesgut. Das gilt bis in unsere Tage und
auch für das Kunstbuch, das sich daher an
seinen Absatzmärkten orientieren muß und in-
nerhalb der verschiedenen Wirtschaftssysteme
unterschiedlich geplant wird. Dem europäischen
Kunstwissenschaftler und Kunstliebhaber stehen
für die Beschattung seiner Literatur im wesent-
lichen vier verschiedene Herkunftsbereiche zur
Verfügung: die englischsprachige Produktion aus
Großbritannien und den USA, die im Vergleich
hierzu teurere - da mit kleinerem Absatzmarkt
arbeitende - deutschsprachige Herstellung in
der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und
der deutschsprachigen Schweiz, das auf Export
und Devisen orientierte Kunstbuch der Ostblock-
länder und die Bücher aus den romanischen
Ländern. Skandinavien und die Niederlande
drucken sowohl in den Landes- als auch in den
europäischen Hauptsprachen.
Daß es sich bei der Herstellung von Büchern um
einen ungemein vielschichtigen, in beständiger
Umwandlung begriffenen Prozeß handelt, wird
schon aus einigen einfachen statistischen Ver-
gleichen ersichtlich, die eingangs zur Orien-
tierung erlaubt seien. Der Börsenverein des
deutschen Buchhandels macht auf der Grundlage
der „Wöchentlichen Verzeichnisse" der Deut-
schen Bibliographie alljährlich einen statistischen
Überblick, dessen ietzt vorliegende Ausgabe für
1971' zugleich eine zusammenfassende Aus-
wertung über die letzten zwanzig Jahre Verlags-
wesen in der Bundesrepublik Deutschland ein-
schließlich Westberlins bietetz. Danach be-
schleunigt sich in Zeiträumen von ieweils einem
halben Jahrzehnt die gesamte Buchproduktion:
1951-1955 um 16,5 Prozent
1956-1960 um 20,1 Prozent
1961-1965 um 26,9 Prozent
1966-1970 um 36,5 Prozent
Diese Akzeleration trifft auch für den verhält-
nismäßig kleinen Anteil, den das Kunstbuch im
gesamten Verlagswesen einnimmt, zu; denn zu
Anfang der fünfziger Jahre entfielen auf das
Kunstbuch zwischen 2,3 Prozent und 2,9 Prozent,
ab 1957 über 3 Prozent, wobei 1965 mit 3,7 Pro-
zent der Höchststand erreicht wurde. Aktuell,
also für 1971, beträgt der Anteil des Kunstbuches
3,3 Prozent an der gesamten Buchproduktion;
das Mittel der letzten zwanzig Jahre liegt bei
3,2 Prozent.
Der Anteil der vom Verleger so begehrten Neu-
auflagen ist auf dem Gebiete der Kunstge-
schichte, gemessen an anderen Disziplinen, er-
heblich geringer. Er beträgt 1971 nur 7,2 Prozent,
während der Durchschnitt innerhalb der Gesamt-
praduktian bei 18 Prozent liegt. Außerdem ist
dieses Verhältnis stark rückläufig, da es 1951 auch
beim Kunstbuch noch 28 Prozent betrug.
Bedenkt man, daß die meisten Neuauflagen bei
den Reiseführern aller Gattungen zu verzeichnen
sind, so muß man feststellen, daß die Neu-
auflage eines Kunstbuches zu den verlegerischen
Glücksfällen zählt und die deutsche Produktion
auf diesem Gebiete hauptsächlich aus Neu-
erscheinungen besteht.
Das verlegerische Abenteuer vergrößert sich
noch durch die Herstellungskosten, die, gemes-
sen am Bogenpreis, beim Kunstbuch am höchsten
sind, nämlich DM 2,95. lm Buchpreis allerdings
liegen Naturwissenschaften, Medizin und Biblio-
thekswesen an der Spitze, bedingt durch die
allgemein höhere Seitenzahl.
Für einen kurzen Überblick über das so viel-
schichtige Gebiet des modernen Kunstbuches,
dessen Niveau von der seichten belletristischen
gegenüber den
vorangegangenen
fünf Jahren
Betrachtung bis zur differenziertesten spezial-
wissenschaftlichen Abhandlung reicht und sich
in einer Verkaufsspanne von ca. DM 2.50 bis
DM 5000.- bewegt, wird eine schematische Unter-
teilung in zwei große Gruppen vorgenommen.
A) Das Buch als reines Verlagsobiekt
1. Die mehrbändige Kunstgeschichte, in Zusam-
menarbeit von Spezialisten ihres Faches ge-
schrieben, ist heute nur noch von großen Ver-
lagsunternehmungen zu bewerkstelligen. Hinter
der völligen Neubearbeitung der Propyläen-
Kunstgeschichte steht nach den Verlagszusam-
menlegungen der letzten Jahre der Springer-
Konzern. Die hervorragend gearbeitete Reihe
„Universum der Kunst"wird im deutschen Sprach-
raum vom Verlag C. H. Beck, München, betreut,
ist iedoch in bezug auf ihre hervorragende
Ausstattung bei relativ günstigem Preis nur auf
Grund einer internationalen Zusammenarbeit
möglich. Der enorme Arbeits- und Kostenauf-
wand für gutes Abbildungsmaterial rechtfertigt
die Übersetzungen. Preisgünstig, aber sehr kan-
ventionell in der Aufmachung und leider nicht
immer sehr vorbildlich in bezug auf die Repro-
duktionen, ist die englische „Pelican-History of
Art", die auch österreichische und deutsche
Fachwissenschaftler als Autoren engagiert hat.
Verdienstvoll sind die großen Weltkunstgeschich-
ten der Verlage Holle und Belser, die zu er-
staunlich niedrigem Preis gute Werke herausge-
bracht hoben. Allen diesen vielbändigen, die
Weltkunst umfassenden Reihen ist gemeinsam,
daß sie sowohl für die Wissenschaft als auch
für den gebildeten Laien geschrieben wurden,
und daß ieder Band ein in sich abgeschlossenes
Thema behandelt und auch einzeln gekauft
werden kann. - Zu dieser Gattung gehört auch
das Malerei-Lexikon des Kindler-Verlages.
2. Während der letzten Jahre ist auch auf dem
Gebiete der Kunstgeschichte das wissenschaft-
liche Buch als Paperback immer häufiger ge-
worden. Beispielhaft in dieser Gattung sind die
verschiedenen Reihen des Verlages M. DuMont-
Schauberg, Köln, die Quellentexte zur Kunst-
geschichte und vor allem zu aktuellen Proble-
men der Kunst des 20. Jahrhunderts behandelni.
Der kunsthistorische Essay über ein einzelnes
Meisterwerk, so wie ihn ab 1956 der Reclam-
Verlag mit seinen „Werkmonographien zur bil-
denden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek"
sehr Verdienstvoll ediert hat, stößt bei weitem
nicht mehr auf das breite lnteresse wie noch vor
einigen Jahren, so daß diese billige, gute,
wissenschaftlich ernste, aber für ein breites
Publikum verfaßte Publikation neuerdings nicht
weitergeführt wird.
3. Die zahlreichsten Titel auf dem Gebiete der
Kunst erscheinen als Städte- und Landschafts-
bücher, die sowohl als zusammenhängende
Kunstgeschichte wie auch als Reiseliteratur ver-
öffentlicht werden und in ieder Niveauhähe an-
zutreffen sind, vom iournalistischen Plouderton
bis zur exakten fachwissenschaftlichen Darstel-
lung. In dieser breitgefächerten Sparte des
Kunstbuches sind noch die meisten Neuauflagen
zu verzeichnen. Spitzenleistungen liefert seit
einem halben Jahrhundert der Deutsche Kunst-
verlag, Berlin, mit seiner bewährten Reihe
„Deutsche Lande - Deutsche Kunst".
4. Die mannigfaltigste Sparte innerhalb des
Kunstbuches bilden die Handbücher für den
Sammler. Hier sind die englischen Verleger am
einfallsreichsten, denn sie können es riskieren,
Bücher ausgefallenster Thematik herauszubrin-
gen, wie über das Sammeln von Riechfläsch-
chen, Knöpfen oder Schnupftabakdosen; be-
achtlich ist die Fülle der größeren und kleineren
Bände mit Anleitung zum Sammeln von Porzel-
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