Die Eigenhändigkeit des Bozzettos steht
außer jedem Zweifel. Die OberHäche zeigt
lebendig die ungeglattete Spur der erfinden-
den Hände des Meisters, seinen unmittel-
baren Tocco. Im Vergleich mit seinen aus-
gefeilteren Tonmodellen stehen seine Boz-
zetti noch gleichsam im Rohbau der Inven-
tion vor uns.
Die Einordnung dieses Bozzettos im Werde-
vorgang des Konstantin wird noch durch
besondere Dokumente erhärtet, die der
Meister mit seinem Modellierholz einge-
tragen hat. Sie sind eine wichtige Quelle für
die Geschichte der Konstantinsfigut. Neben
der Dtaperie des Vorhanges ist rechts oben
neben mehreren Buchstaben die Zahl
65 cingeritzt 14 (Detail, Abb. 11). In diesem
]ahre sind die Arbeiten an der Scala Regia
schon weit vorgeschritten. Am 1. Juni
meldet der Polier, der Capo-mastro, daß
Treppe und Kolonnaden fertig sind. Nun-
mehr mußte an die Aufstellung der Figur
gedacht werden und die Gestaltung des
Hintergrundes und des Sockels gelöst
werden.
Bernini selbst tritt im Juni 1665 seine Reise
nach Paris an, um die Büste des Sonnen-
königs und das Projekt für den Umbau des
Louvre zu schaffen. Vor seiner Abreise hat
er 1665 den hier erstmals veröffentlichten
Idealentwurf für die Aufstellung an der
Scala Regia vorgelegt.
Der Bozzetto trägt jedoch noch ein wei-
teres interessantes Dokument. Unterhalb
der Zahl 65 ist mit dem Modellierholz
die technische Montageskizze eingetragen.
Im Querschnitt wird gezeigt, wie die senk-
recht stehenden Reliefplatten und die rück-
wärtige Stützplatte die profilierte horizon-
tale Deckplatte tragen sollen. Außerdem ist
die, Verankerung der Figur mit Zapfen
eingezeichnet. (Die Drapierung des Hinter-
grundes war nur in Stuck auszuführen, der
an der Wand befestigt wurde.)
Mit der Erstellung dieses Idealbozzettos
war die Aufgabe jedoch noch lange nicht
gelöst. Bis zur Aufstellung 1670 sollten
noch weitere fünf Jahre vergehen und zwei
Päpste (Clemens IX. und Clemens X.)
gewählt werden. Nach der Rückkehr aus
Paris im Dezember 1665 waren noch
mancherlei technische Probleme zu lösen.
Heute sehen wir in den beiden Seiten-
feldern des glatten Sockels der Statue zwei
getarnte Türen eingelassen (Abb. 13). Diese
„Porticelle" führen zu einem Treppen-
aufgang, der einen Stock höher im kleinen
„Cortile del Matesciallo" mündet, von
welchem aus man zum zentralen San-
Damasus-Hof des Palazzo Angelico gelangt.
Diese unscheinbare Nebentreppe ist für den
internen Betrieb des Vatikans von großer
Bedeutung. Ihr Verlauf war Gegenstand
mancher Überlegungen. Fraschetti 15 bildet
einen Plan Berninis aus der Sammlung
Busiri-Vici ab, der die Neugestaltung des
Cortile San Damaso zum Gegenstand hat.
Inmitten des Hofes ist eine olfen nach oben
mündende Treppe eingezeichnet. Dieser
nicht verwirklichte Treppenlauf beweist,
daß die heute im Sockel der Statue be-
ginnende Treppe im ursprünglichen Plan
Berninis erst im unteren Teile des langen
Korridors vorgesehen war. Der Beginn der
Treppe lag wohl nahe der heutigen - erst
in späterer Zeit angelegten - Scala Pia.
Bei der endgültigen Beschlußfassung über
den Treppenverlauf hat man wohl die Ein-
richtung - oder auch die Beibehaltung -
des kürzeren Verbindungsweges verlangt,
der vom Fuße der Scala Regia über den
Cortile del Maresciallo führt.
Damit war Bernini gezwungen, den Sockel
des ldealbozzettos zu ändern. Die Treppen-
türen wurden im Sockel eingebaut. Die
Lösung zeigt großen Geschmack und bildet
einen besonderen illusionistischen Geistes-
blitz des Meisters. So erklärt sich das Weg-
fallen der geplanten Sockelreliefs.
Die neue Lösung ist in der letzten Modell-
zeichnung festgehalten, die das Museum der
Bildenden Künste in Leipzig besitzt. Mit
der Genauigkeit eines Architekturrisses ist
der glatte Sockel gezeichnet (Abb. 12).
Diese Zeichnung ist daher heute mit 1666
genau datierbarlß.
Um die Beweisführung an Hand der Quellen
deutlich zu machen, sei im folgenden das
Werden des Konstantin kurz chronologisch
rekonstruiert. Die schon bei Fraschetti
größtenteils publizierten Archivalien sind
im Werkskatalog bei Rudolf Wittkower 17
kritisch zusammengestellt. Der Fund des
Bozzettos bringt in der Reihung und
Wertung der Zeichnungen einige Änderun-
gen mit sich.
13 p
12
I3
um: Modelluichnung summa mit vertinfanrhtcm
Sockel, 166a. Leipzig, Muscurn der Bildenden Künste
um! des ausgzfühnm Sockels mit Eingängen zur
Nebentreppe zum San-Dzmasus-Hul"
ANMERKUNGEN 14717
"Die mninng der cingcrilztcn Zahl es als jzhrcszahl
(uns liegt nahe, da in der Werksgeschichl: dEf Hozzeno
1664165 zntstanden sein nniß. Damit sind aber die
anderen eingeritztcn Buchstaben und Zahlen nicht "um.
Einem GCSPIÄCH mit Prof. Irving Lavin (New York) ver-
dank: ich die Anregung. G21} dicsc: Zahl auch auf
Zahlungen (Scudi a) oder auf Maßanpben bezogen Waden
könnle.
15 Fraschexli, a. z. 0., S. 312. Die bei Brauex-Wixtkower
unter Nr. 164: abgebildete Zeichnung des Planes des
nördlichen Korridor: sieht hingegen bereit die Neben-
u-eppe vom Fuß der Scala Regia himer der geplanten
8
Aufstellung der Konslantinsügur vor. Diese Zeichnung ist
wuhl zwischen was und 166a cntslanden.
w Bei Drauer-Wißkower (a. a. o. unter Nr. 12 abgebildet.
n; Drapicrcntwurf bezeichnet. urch den nunmehr vor-
liegenden Bozzeuo kann dies: Zeichnung nun exakt
frühestens 166:, datiert werden. Nach 1666 ist sie
kaum mehr möglich, da in diewm Jahr: die
Vorarbeiten fur den Sockel begonnen haben. Die
Rcilcrügur und die Draperie sind auf diesem mm mit
eanee eher lässigen Routine eingetragen, wähzcnd der
Sockel mit größter Pedanlcri: ausgeführt ist. Dies: Zeich-
nung ist daher als Modellzeichnung für den Sockel zu
WEIKEII.
11 A. z. 0.. s. 2331214.