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sich an die Spree mit ihren Canälen und Wasserstraßen, welch letztere
die Spree mit der Havel verbinden. Ungehindert von Terrainschwierigkeiten
breiten sich die Straßenanlagen behaglich nach allen Richtungen aus und
folgen den Eisenbahnen und Wasserverbindungen. Während in unmittel
barer Nähe Wiens die reizvollsten Waldgebirge, die unmittelbar mit den
steierischen Alpen verbunden sind, liegen, und Wien zu der malerischsten
Großstadt Mitteleuropas machen, ist Berlin auf- die Naturschönheiten der
Umgebungen der Havel und auf Potsdam angewiesen — die einzigen Punkte
in der Nähe der Stadt, welche ein malerisches Interesse wachrufen.
So ungünstig die äußeren geographischen Verhältnisse für die Ent
faltung architektonischer Schönheit in Berlin sind, so günstig sind sie für
die Entwickelung eines intensiven volkswirthschaftlichen Lebens, für den
Verkehr und für den Handel. Und dieser Verkehr belebt das heutige Berlin
und entschädigt für den Mangel der architektonischen Schönheit. In der
nüchternen landschaftlichen Umgebung hat sich auch der Charakter der
aus der Kreuzung der germanischen mit der wendischen Race hervorge
gangenen Brandenburger entwickelt; mäßig, tüchtig, seit jeher auf sich
selbst angewiesen, bilden die Brandenburger den Kern des preußischen
Staates, wie auch die Brandenburger Regimenter seit den ältesten Zeiten
bis in die Gegenwart den Kern der preußischen Armee bilden. Bis in das
i3. Jahrhundert hinein war Berlin und dessen Umgebung von wendischen
Völkerschaften bewohnt; noch jetzt verfolgt man mit großer Sicherheit
die Spuren der einstigen wendischen Ansiedler an den Ufern der Havel.
Der älteste Theil von Berlin ist jener Stadttheil, welcher Alt-Köln genannt
wird. An der Spree gelegen, war es einst ein Hafenplatz für die auf dem
Fluss verkehrenden Schiffer, welche den nördlich wohnenden Völker
stämmen Producte des Südens zuführten. Der Name Köln kommt erst
im Jahre 1238, der Name Berlin im Jahre 1244 urkundlich vor, also zu
einer Zeit, wo Wien in der Geschichte des deutschen Reiches bereits eine
ganz hervorragende Stellung eingenommen hat und der Bau der Michaeler-
kirche vollendet und der Bau der Stephanskirche schon weit fortgeschritten
war, die hervorragenden deutschen Dichter ihre Minnelieder am Hofe der
kunstliebenden Fürsten gesungen haben. Die Namen der Kirchen,
die in dem ältesten Stadttheile von Berlin liegen, die Petri- und Nikolaus
kirche, weisen darauf hin, dass Schiffer und Kaufleute die ersten Bewohner
von Berlin waren, die von hier aus den Verkehr nach dem Norden und
dem Osten vermittelt haben. Diesem bürgerlichen Charakter der Bewohner
entsprechend, hat Berlin keineswegs ein aristokratisches Aussehen, es ist
auch heute noch eine den bürgerlichen Interessen gewidmete Stadt'). Es
’) Es würde zu weit führen, den Kirchen- und Brückenbau Berlins zu be
sprechen. Aber bemerkenswerth ist es, dass von Seite der Commune viel geschieht, um
bei dem Bau von Kirchen den Bedürfnissen des guten Geschmackes zu entsprechen und
die Kirchen schön zu situiren. Wir heben aus dem Bericht der Communalverwaltung nur
das hervor, was sich auf die Petri- und Nicolauskirche, als die ältesten Kirchen Berlins, bezieht.