In der Medaillenkunst vollzieht sich jetzt ein beträchtlicher Um-
schwung. Die Gussmedaille mit ihren künstlerischen Intentionen, welche
früher fast ausschließlich geherrscht hatte, verschwindet völlig und macht
auf's Neue der geprägten Medaille Platz. Die Privatmedaille tritt auch
in Deutschland immer mehr zurück, um im 18. Jahrhundert ganz zu ver-
schwinden; an ihrer Stelle erscheint die officielle, die Staatsmedaille, als
Dienerin und Ruhmesverkünderin der Höfe. Aehnlich wie im altrömischen
Imperium wird die Medaille jetzt in Frankreich eine staatliche Institu-
tion; in das Jahr 1663 fällt die Gründung der nAcadernie des Inscriptions
et de Numisruatiqueu, der die Aufgabe zufällt, die Darstellungen für die
Medaillen, welche die königliche Münze alljährlich auf die Ruhmesthaten
des wRoy soleilr- prägt, mit gelehrter Allegorik zu erfinden und mit
tönenden sinnreichen Aufschriften zu schmücken. So entsteht die lange
Reihe der nI-Iistoire metalliqueu, welche noch unter Napoleon I. fort-
geführt worden ist, weniger durch künstlerischen Geist als durch saubere
Technik ausgezeichnetü). Da Versailles der Spiegel für die anderen
großen und kleinen Höfe ist, so findet dies Beispiel flugs Nachahmung
und auch die kleinsten deutschen Sedezfürsten gefallen sich darin, ihre
Regierungshandlungen, den Sturm im Wasserglase, auf möglichst pom-
pösen Medaillen verewigen zu lassen.
Auch gegenständlich erfährt die Medaille jetzt eine gewaltige Aena
derung M). Die historischen Darstellungen aus der zeitgenössischen Ge-
schichte, früher ziemlich selten, treten jetzt natürlich in den Vordergrund.
Der Stil dieser Compositionen ist uns wohl bekannt, es ist der in den
historischen Panegyriken, in den Dedicationen dieser Zeit mit ihren alle-
gorischen Kupfern herrschende, mit dem ganzen Aufwande der uma-
chineu von römischen Gottheiten und Heroen, der Stil, der seinen classi-
schen Ausdruck in der regulären französischen Tragödie gefunden hat.
Das Empire Napoleon's I. verhilft der schon früher unter dem Ein-
flusse der antiken Studien gegen dieses Barocco} eingetretenen Reaction
zu vollständigem Siege. Unter den Trümmern des alten Regime, unter
dem ungeheuern Wirrsal der napoleonischen Kriege liegt auch die alte
Kunst begraben: zum ersten Male im Laufe der Geschichte ist der Faden
ihrer historischen Entwicklung vollständig abgelaufen. Was könnte besser
H) Guißrey, Histoire metallique, Melanges de numismatique, vol. Ill; derselbe in
der Revue numisrnatique, lllß serie t888; Mazerolle, Les grands medailleurs franeais,
Gazette des beaux-arts 1892; Rondot, Claude Warin, Revue nun-iisluat. tSSB.
") Noch früher, schon im t6. Jahrhundert, zeigen die Rechenpfennige in Frank-
reich - als Neujahrsgeschenke (jetons dR-Strennes) von großer socialer Bedeutung und
massenhaft verbreitet-,Darstellungen, welche auf die zeitgenössische Geschichte anspielen,
in Frankreich mehr in höüsch allegorischer Form, während sie in den Niederlanden po-
litische Erinnerungen oder Bestrebungen, oft in satyrischer Form, zum Ausdrucke bringen.
Die französischen Amtsjetons sind als Vorlaufer der Histoire metallique zu betrachten.
Vergl. den ausgezeichneten Aufsatz von A. Nagl, Die Rechenpfennige und die operative
Arithmetik, Wien 1833. (Separatabdruck aus der Numismat. Zeitschrift.)