Seite 272
Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 18
Pompadour und Facilletlein.
Von Dr. Heinrich Pudor (Leipzig).
Einer der beliebtesten Kostümgegenstände unserer Zeit
ist die Gürtcltasche. Warum, nennt man sie »Pompadour«? Die
bekannte Marquise von Pompadour hat, soweit man nach den
erhaltenen Bildern urteilen kann, keine derartige Tasche ge
tragen. Vielleicht aber schreibt sich — die Konversationslexika
geben darüber keine Auskunft — das Wort von dem Namen
des amerikanischen Vogels Pompadour und dessen Farben
pracht her.
Die Geschichte der Entwicklung dieser heute Pompadour
genannten Tasche gehört zu den interessantesten Kapiteln der
Kostümgeschichte. Aehnlich nämlich wie unser modernes
»Portemonnaie« hat sich auch der Pompadour aus der Jagd
tasche entwickelt und die Entwicklung dieser letzteren reicht
natürlich bis ins graue Altertum zurück. Pompadours, wie sie
heute bei Kostümfesten oder im Theater (Gretchen-, Klärchen-,
Evchen-Tasche) getragen werden, finden wir bereits um 1300
zum Beispiel in der Manessischen Liederhandschrift dieser Zeit.
Es bleibe dahingestellt, ob sie sich selbständig und parallel zu
den Jagd- und Patronentaschen oder aus diesen entwickelt
haben. Keinesfalls kann man bei einer Behandlung der Ge
schichte des Pompadours die Jagdtaschen außer acht lassen.
Diese lassen sich in Ledertaschen und Zeugtaschen gruppieren
Ledertascheu sind in hervorragender Schönheit von den
Eskimos Grönlands, und zwar mit aufgenähten farbigen Leder
streifen und Riemenflechtwerk gefertigt worden. Auch die
Taschen, Messerscheiden und Dolchscheiden aus Syrien und
Oberägypten seien erwähnt. Von der Insel Johanna (Komore-
Gruppe) sind kleine Täschchen mit zierlichen Riemflechtereien,
durch bunte Punzen verziert, bekannt. Als Gürteltaschen
könnten heute von Europäerinnen getragen werden die Taschen
aus gebeiztem und geschnittenem Leder der Mandingos in
Westafrika; sie wurden an einer geflochtenen Lederschnur um
gehangen, an beiden Seiten flattern sechs, mit gedrehten Holz
kugeln gezierte Riemchen und am unteren Ende der Klappe
hängt eine Quaste an einer ledernen Schnur. Aus Arabien
sind besonders schöne Patronentaschen aus rotem Leder, mit
Stickereien und Goldnähten verziert, bekannt.
Die Zeugtaschen sind entweder aus Samt oder aus Lein
wand hergestellt, im letzteren Fall mit Seidenapplikationen ver
sehen. Samttaschen waren die Almosentaschen (aumonieres, es
carcelles) der Kirchen, mit Quasten und reich gebildetem Bügel
verziert; von ihnen stammen in gerader Linie die Geldbeutel
unserer Voreltern her, wie man sie heute noch auf dem Lande
und bei Marktfrauen sieht.
Die Jagdtaschen waren entweder Leder- oder Zeug
taschen. Im bayerischen Nationalmuseum befindet sich eine
Falkenjägertasche Maximilians I. (1600 bis 1624).
Ganz anders ist die Form der Jagdtaschen der Notre
Dame-Kirche in Tongeren aus dem 14. und 15. Jahrhundert mit
Seiden-, Gold- und Silberstickerci, das eine Mal Jagdszenen,
das andere Mal ein geometrisches Ornament darstellend.
Die Vorgenannten Taschen sind nun diejenigen, die
Zedier im Jahre 1744 beschreibt. »Tasche« heißt ein oval
runder, von Samt, Estoff, Brocard, Damast und anderem der
gleichen Zeug verfertigter, genähter oder gestickter Beutel, der
oben an einem stählernen, ja zuweilen silbernen Bügel mit
einem daran befindlichen Schloß geheftet und in der Mitte mit
einem Unterscheid versehen und wegen des zu oberst daran
befindlichen Ringes und Hakens an den Rock unter die Schürze
gehangen werden kann, um das einzelne und Ausgabegeld da
rinnen verwahren und bequem bei sich tragen zu können.
Hier haben wir also zugleich den Beweis, daß der neuzeit
liche Geldbeutel ebenso wie der Pompadour in direkter Linie
auf die Jagdtaschen der Renaissance und des Mittelalters
zurückgehen. Als Pompadours scheinen sie besonders in der
Schweiz beliebt gewesen zu sein; sowohl auf der Schweizer
Miniatur in Paris aus dem Jahre 1570, wie auf verschiedenen
Holbein-Zeichnungen in der Ambrosiana zu Mailand und in
Basel sieht man sie. Natürlich dienten sie in dieser Zeit schon
auch zur Verwahrung des immer mehr in Gebrauch kommenden
Taschentuches oder Facilletlein. Schon im 16. Jahrhundert heißt
es in einem Anstandskatechismus für Knaben: »Ist's auch höf
lich, mit dem Barett oder Rock die Nasen zu schneuzen? Nun
denn, solches gehört sich zu tun viel besser mit dem Facillet
lein.«
»Facilletlein« ist der deutsche Ausdruck für »faciletto«,
Taschentuch, das in Venedig vom Jahre 1540 in Gebrauch kam,
von Henri II. ab auch in Frankreich und von 1580 ab in
Deutschland sich einbürgerte. In Dresden wmrde im Jahre 1595
dem niederen Volke der Gebrauch des Taschentuches ver
boten (!) — vielleicht hat man damals in Sachsen dem Volke
auch den Gebrauch der Seife verboten und vielleicht kann
man die Höhe des Kulturzustandes nicht nur nach dem Maße
der Verbreitung der Seife, sondern auch der des Taschen
tuches bemessen. Montaigne freilich, der unvergleichliche
französische Essaist, hielt viel davon, während Henri IV. im
Jahre 1594 nur fünf Taschentücher besaß (vergl. »Journal
d’Estoile«, 1594, 6. Februar). Uebrigens schreibt sich das
französische Mouchoir von chasser les mouches her; Rabe
lais nannte es moucho)ir oder mouchinez. Ruß
land blieb auch hierin zurück. Es ist bekannt, daß
sich Peter der Große nie eines Taschentuches bediente und
in einem Briefe vom 27. Juni 1697 aus Saint-Cloud schreibt
die französische Prinzessin: »II faut que ce soit la grande mode
a Moscou de se moucher avec les doigts, car le Csaar (Pierre
le Grand) le fait egalement, cela economise les mouchoirs.«
Auf der anderen Seite sind die Japaner hierin (freilich nicht
nur hierin) am weitesten vorgeschritten: sie nehmen kleine
Blättchen Seidenpapier, die sie in eine Gewandfaltc einrollen
und nach Gebrauch fortwerfen.
Ueber den unhygienischen und unästhetischen Ge
brauch unserer, ein paar Tage lang herumgetragenen
Taschentücher dürften sie sich wohl nicht ganz mit
Unrecht lustig machen. Es wäre an der Zeit, im 20. Jahr
hundert, das sich gerade hygienisch für fortgeschritten hält,
diese Nasentücher, die man nur dreimal in der Woche wechselt
abzuschaffen und solche einzuführen, die man nach Gebrauch
fortwirft. Was sagen die Aerzte dazu? Schöne, kunstvolle
Facilletlein für die Stirn und den Mund aber mögen wieder
mehr in Mode kommen.
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