VER SACRI V
Studie von
Rud. Nissel.
Zug, der freilich gerade dieses entzückende Blatt vielen
besonders nahe bringen wird, beeinträchtigt sich seine
reine decorative Wirkung in etwas. Es ist zu intim, um
ganz holzschnitthaft monumental zu wirken. In diesem
Betracht wird es vom Sturm und dem Sieg noch uber
troffen. In diesen ist der Triumph der einfachen grossen
Linie, der vornehm discreten Farbenfläche vollkommen.
Beide sind im ganzen auf Grau-Blau gestimmt, die Con-
touren heben sich in einem sammtenen Grau-Schwarz
heraus; beim Sieg tritt ein überaus wirkungsvoller Fleck
in Orange dazu. Aber die Hauptsache liegt bei der Lime.
Beide Blätter sind figürlich, aber sie wirken mit der Schwung
wucht von sehr einfachen Ornamenten, in denen, wie mit
einer Zeichensprache, alles ausgedrückt wird, was in dem
jeweiligen Stoffe liegt. Der STURM: Ein Adler unter
fegenden Wolken, über jagenden Wellen und tief gebeugten
Bäumen; die Schwingenweite des Vogels geht von dem
einen Längsrande des Blattes zum anderen; die Linien der
Schwingen wiederholen sich in denen der Wolken, die
Krallen des Vogels haben
ihr grösseres Abbild in
den sich überstürzenden
Wellen. Das könnte wie
ein billiger Symbolisten
witz aussehen, wenn es
nicht so absolut ernst und
bei aller Vereinfachung der
Linie so naturentnommen
wirkte. Der SIEG: Ein
breites, wildes, nächtiges
Wasser; die Gewalt der
drängenden Wogen wirft
sich gegen einen nackten
Jüngling, der ruhig in der
erhobenen Rechten eine
Fackel durch die Wasser
weite trägt. Ist es nicht
wie eine Modernisierung
des alten lieben Themas
von Christophorus, der
den kleinen Heiland übers
Wildwasser huckepackt?
Im Grunde sicher derselbe
Gedanke, aber auf seine
alles Legendenhaften, Bei-
werkmässigen entkleidete
Nacktheit zurückgeführt
und darum zwar nicht so
sinnig, lyrisch, anheimelnd
in der Wirkung, aber dafür
um so mächtiger, symbol
hafter und decorativ ein
drucksvoller.
Ich habe von diesen Wandschmuckblättern deshalb
ausführlicher gehandelt, weil ich glaube, dass der auf Wand
schmuck berechnete, vom Künstler selber mit der Hand
gedruckte und darum in jeder Hinsicht als originales Kunst
werk, nicht als blosses Vervielfältigungsproduct zu be
wertende Holzschnittdruck berufen ist, eine wichtige Auf
gabe zu erfüllen, nämlich die Schmückung des Hauses derer,
die nicht im Stande sind, sich Originalgemälde anzu
schaffen. Diese Behrens'schenKunstblätter mit ihren grossen
Flächen, die selbst in grossen Zimmern nicht verschwinden,
können auch von solchen Kunstfreunden erworben wer
den, die sich sonst die Anschaffung von originalen Kunst
werken versagen müssen. Dies ist aber ein avis au lecteur,
der sich nicht bloss auf die Geniessenden, sondern auch
auf die Schaffenden bezieht. Das „weg von der Staffelei“,
das heute den Malern oft zugerufen wird, indem man es
ihnen nahelegt, sich nicht bloss mit der Schaffung von Ge
mälden, sondern auch mit der Erzeugung von Gegen
ständen der Nutzkunst zu befassen, kann und wird von
vielen nicht befolgt wer
den, denen es eben gerade
um den malerischen Aus
druck von Bewegungen
ihres Inneren zu thun ist,
von denen also, die als
Maler Poeten sind, — für
sie ist der grosse Farben
holzschnitt für die Wand
eine Gelegenheit, auch
ihrerseits im Zuge derer
mitzuschreiten, die die
Kunst in reicherer Fülle
ins Leben selber stellen
wollen. Es lässt sich wun
derschön ins Holz dichten,
wie Peter Behrens beweist.
Die F arbigkeit istfür den
grossdecorativen Zweck
desHolzschnittes zwar sehr
wesentlich, aber doch nicht
unbedingt nothwendig,
Beim primitiven Hand
druck mit Wasserfarben
lassen sich auch schwarz
auf weiss sehr schöne Wir
kungen erzielen. Eine Rei
he von Versuchsblättern
des vortrefflichen E. R*
WEISS beweist das. Es
sind ganz ausgezeichnete
Sachen darunter, die, wie
alles, was dieser hoch
begabte junge Künstler