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letztere mit aufschabloniertem Wellenlinienmuster, in deren Mitte ein golde-
nes „L" (Lindau) steht. Der Plafond darüber sowie die Türfüllungen sind in
kräftigem warmen Rot gehalten, so daß den einzelnen Räumen gegenüber
eine energische Kontrastwirkung sich geltend macht.
Während auf den übrigen Bodenseedampfem die Kajüte zweiter Klasse
bisher eine Behandlung zeigte, als wäre sie mit ihrem imitierten Eichenholz-
anstrich für die daselbst untergebrachten Passagiere gerade „gut genug", ist
sie auf dem neuen Dampfer in lichten Farben, weiß, rot, grün mit dezenter
Anwendung geometrischer Ornamente ausgeführt, die Sitzgelegenheiten und
Tische durchweg in tiefem Rot gestrichen. Auf diese Weise bekam das
Ganze eine etwas menschenwürdigere Haltung. Abgesehen von einer Reihe
einzelner Details, so der Griffe, Türschilde, der Vorhänge und so weiter
wurde auch in der äußeren Erscheinung abgegangen von der bisherigen
Gepfiogenheit, die bayerischen Schiffe der Hauptsache nach mit einem etwas
stumpfen, graugelben Anstrich zu versehen: die Schale bekam über der
Wasserlinie einen schmalen, roten Streifen, alles übrige wurde in Weiß
gehalten. Offenbar hat die von der bisher üblichen wesentlich abweichende
Erscheinung des Dampfers Anklang gefunden: die Generaldirektion der
Schweizerischen Bundesbahnen läßt ebenfalls einen neuen Dampfer bauen,
dessen Ausstattung dem Künstler der „Lindau" übertragen, eine wesent-
liche Abweichung von den übrigen im Dienste stehenden Schiffen in neu-
zeitlichem Sinne zeigen soll.
AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN S0 VON
LUDWIG HEVESI-WIEN Sie
ÜNSTLERHAÜS. Die Herbstausstellung der Künstlergenossenschaft füllt das
ganze Erdgeschoß des Künstlerhauses. Ein Teil des Stoffes ist zu Kabinetten ver-
einigt, in denen einzelne Künstler Übersichten ihres Schaffens bieten. Einen ganzen Saal
füllt Viktor Scharf mit seinen Porträts, Interieurs und auch landschaftlichen Studien. Wir
lernen ihn eigentlich erst jetzt kennen, obgleich wir seinen einzelnen Sendungen stets die
vornehme Farbenempfindung und gute Pariser Schule nachzurühmen hatten. Scharf ist
1872 in Wien geboren und hat nach zwei Jahren München (bei dem älteren Herterich)
in Paris bei Whistler und Carriere gearbeitet. Brügge und Holland wurden ihm Studien-
Stationen. Wie weit er gelangt ist, zeigt sein diesjähriges großes Bild: „Bibelleserinnen",
Weiber in dunklen Kleidern und weißen Häubchen in dämmerigem Gemach mit einem
ewigen Licht an der Wand. Eine tiefe Harmonie ist mit geräuschloser Kunst bis zur
Vollendung durchgeführt. Ein großes Bild: „Martje" zeigt sein kindliches Lieblingsmodell
in Volendam, dem holländischen Malernest, naturgroß in ländlicher Stube, heiterer har-
monisiert, aber doch im Grunde als ernste Malerei. Mit dem richtigen Spuk von Licht und
Reflexen gibt er sich weniger ab, doch sind Anzeichen vorhanden, daß er dahin gelangen
wird. Vielleicht auf der landschaftlichen Seite, für die er Lyrik genug besitzt. Seine Haupt-
stärke ist dermalen das Porträt. An seiner französischen Frau hat er ein trefüiches Modell,
das in mannigfachen Ansichten wiederkehrt. Aber auch zahlreiche andere Porträts
bewähren seine eleganten und dabei malerischen Eigenschaften. Einzelne („Der Geiger")
sind von starkem, eigenartigem Kolorismus. Ein Kabinett hat Hans Larwin mit seinen