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werbe-Zeichnenschule des Gewerbevereines und die landschaft-
liche Akademie der Künste. .
Vllas dießeichnenschule des Gewerbevereines betrifft, so wird die-
selbe ohne Zweifel im höheren Grade sich entwickeln können, wenn die
Verschmelzung des Gewerbevereines mit dem Kunstrlndustrievereine statt-
gefunden haben wird. Es werden der Schule durch diese Vereinigung nicht
blos Geldkräüe, sondern auch schöne Gypsgüsse und Zeichnenvorlagen zu-
kommen, welche" der Schule von erheblichem Nutzen sein werden. Die
Schule selbst aber muss, wenn sie nützen soll, auf ein ganz neues Pro-
gramm gestellt werden. Die Zielpuncte dieser Schule müssten dann
folgende sein:
I. Die Schule sollte nicht blns Sonntagsschule sein, sondern sie sollte
an Wochentagen Abends, etwa von 6-9 Uhr, geöffnet sein.
II. An Stelle des unentgeltlichen Unterrichts sollte ein entgeltlicher
treten. Die Erfahrung in allen Schulen hat gelehrt, dass besser gelernt
und zweckmässiger unterrichtet wird, wenn die Schüler ein Unterrichts-
geld zahlen.
III. Die Leitung des Unterrichts soll einem tüchtigen Gewerbszeichner
anvertraut werden; auch sollte der Unterricht sich nicht blos auf das Zeichnen,
sondern auch auf das Modelliren ausdehnen. In Graz, wo meistens Tischler,
Bailhandwerker, Goldarbeiter, Töpfer einen solchen Unterricht brauchen,
ist das Einfuhren des Modellirens in den Kreis der gewerblichen Unter-
richtsgegenstände ganz unentbehrlich.
Die Reform der landschaßlichen Kunstakademie steht bereits an der
Tagesordnung des steierischen Landesausschusses. Dass an massgebender
Stelle das Bcdürfniss nach einer Reform vorhanden ist, ist an und fir sich
schon eine erfreuliche Erscheinung. Sobald nur einmal die Gesichtspunctet
die dabei in Betrachtung kommen, angeregt werden, dann ist gar nicht zu
zweifeln, dass sich die Ideen klären werden, welche zu einem Resultate
führen. Steiermark hat kein grosses und kein reiches Kunstleben. Es wäre
thöricht, dort eine Akademie von jenen Gesichtspuncten aus installiren zu
wollen, die in Wien und Berlin, in Dresden und München massgehend
sind. Eines schickt sich nicht Hir alle. Was für München oder Venedig
passt, passt nicht für Graz. Unter einer Akademie in Graz ist ganz etsvas
anderes zu verstehen, als unter einer Akademie in jenen Städten, wo ein
grosses und reiches Kunstleben feste Wurzel gefasst hat. Handelt es sich
in Graz um den Kunstuntenicht einer solchen Akademie, so kann es sich
jedenfalls nur um den höheren kunstgewerblichen Unterricht handeln, wo-
bei selbstverständlich das iiguralische Zeichnen nicht ausgeschlossen bleibt,
ja im Gegentheile, wie die Kunstschule Krelings in Nürnberg, die sich
eines Weltrufs erfreut, zeigt, als integrirender Theil aufgenommen werden
muss. Manche Kronlands-Akademien sind in Oesterrcich von wahrem Ver-
derben, sie rufen ein Kiinstlerproletariat hervor und geben dort keine
Hilfe, wo heutzutage in erster Linie Hilfe nöthig ist. Während die ganze