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zureichte, fast aoo unter Glas ausgestellt und zwar in giebeldachformigen, sehr sinnreich
erfundenen Pulten. Dieselben stehen auf langen, lingshin angereihten Kästentischen und
nehmen so die Mitte des Galerieraumes ein, ohne aber die Augenhöhe eines Mannes von
mittlerer Grosse zu übersteigen. Es würde uns zu weit führen, wollten wir hier auch nur
die hervorragendsten Perlen dieser Reihenfolge aufzählen; begnügen wir uns daher mit
der Erwähnung der i5 Originalzeichnungen von Raphael, rz von Dürer, I! von Rem-
brandt. 8 von Rubens u. s. f., alle von unanfechtbarer Echtheit und unschätzbarer Qualitat.
Ueberhaupt ist von dem gegenwärtigen Vorstand: der Sammlung, Herrn Dr. M.
Thausing, die Auswahl nicht auf Grund der veralteten Kataloge, sondern, wie es von einem
so bewährten Kunstgelehrten zu erwarten war, vom neuesten Standpunkte der wissen-
schaftlichen Kritik aus getroffen. Auch ist die Vorsicht gebraucht, dass alle jene Stücke,
insbesondere Federzeichnungen, welche im directen Lichte leiden konnten, auf die Schat-
tenseite der Pulte verwiesen wurden. Hoifentlich wird uns später wohl ein gedruckter
Katalog des Genaueren über die ausgestellten Handzeichnungen belehren.
Doch ist es nicht jedermanns Sache, diese feinsten Blüthen alter Kunst zu genicssen
und nach Gebühr zu würdigen. Dazu gehört bereits ein gewisser Grad von künstlerischer
oder kunsthistorischer Vorbildung. Das weni er geübte Auge weiss mit den ehrwürdigen
Bruchstücken alter Meisterwerke nichts anzu angen, es verlangt fertige Gegenstände, ganze
Bilder. Aber auch für das Bedutfniss des Anfangers hat die neue Aufstellung der Alber-
tina Fürsorge geholfen. Schweift der Blick über die Pulte der Zeichnungen hinweg, so
entfaltet sich auf den Kasten, welche der Fensterseite gegenüber stehen, eine bunte Reihe
von Meisterwerken des Grabstichels, welche die berühmtesten Compositionen historischer
Malerei in würdiger und stylvoller Weise darstellen. Theilweise dienen sie zugleich zur
Erlauterung der Zeichnungen in den gegenüberstehenden Pulten. Den Mittelpunkt bildet
Kellers Stich nach Raphaels Disputa, zu dessen Seiten Jacoby's Bildnisse der Maiestaten
ahnlich wie die Stifterbildnisse der alten Altäre angereiht sind. Auch die sonstige Einfü-
gung von glänzenden Stichen nach Konigsportraits, insbesondere nach französischen, in
die gefällige Reihe bietet nicht blos eine angenehme Abwechslung, sondern zeigt zugleich un-
serem photographischen Zeitalter, was die Kupferstechkunst auf diesem Gebiete Monu-
mentales zu leisten vermag oder vielmehr vermochte.
Als Gegengewicht zu dieser fortlaufenden hohen Bilderreihe tragen die gegenüber
an der Fensterseite stehenden Kasten gute, lebensgrosse Büsten von Künstlern und Kunst-
schriftstellern, von Raphael und Michelangelo bis auf Cornelius und Kaulbach, von Winckel-
mann bis Kugler. Es sind deren i6, je eine auf einem Fensterkasten, zu dessen Ver-
zierung sie sich darum so gut eignen, weil sie den Einfall des Lichtes nicht verhindern.
Nur die beiden mittelsten gehen über das Mass der anderen hinaus; es sind die Kolossal-
büsten von Albrecht Dürer und Marcantonio Raimondi, den Vertretern der deutschen und
italienischen Kupferstechkunst.
Noch zwei andere Büsten aber sehen wir in der Albertina aufgestellt. Aus weissem
Marmor gehauen, stehen sie auf eigenen Postamenten inmitten des Galerieraumes, je eine
an jedem Ende derselben. Es sind die Bildnisse jener beiden edlen Fürsten, denen die
Albertina ihren Ursprung und ihre Vermehrung verdankt, des Herzogs Albert von Sachsen-
Teschen und des Erzherzogs Karl. Wohl dem Lande, das so viel Ursache hat, seinen ersten
Staatsmsnnern und Feldherren auch an solcher Stätte ein dankbares Andenken zu weihen!
Durch diese neuen Einrichtungen ist die Albertina eigentlich erst im vollen Sinne
des Wortes das geworden, was sie nach den humanen lntentionen ihres Stifters sein sollte:
eine öffentliche Kunstanstalt. Ein wesentliches Hinderniss zur völligen Erreichung dieser
Bestimmung war aber bisher der Mangel eines eigenen und bequemen Zuganges zur
Sammlung. Der Anlage eines solchen standen verschiedene nicht unerhebliche Schwierig-
keiten, theils technischer, theils privatrechtlicher Natur entgegen und nur dem hochst-
eigenen, persönlichen Eingreifen Sr. kais. Hoheit des Herrn Erzherzogs Albrecht soll, wie
wir hüten, die Ueberwindung derselben zu verdanken sein. ln Folge dessen gelangt man
nun aus dem Hofe des erzherzoglichen Palais auf der Augustinerbastei geraden Weges in
die Kunstsammlung, an welche sich bekanntlich die reichhaltige Kartensammlung und die
stattliche Privatbibliothek des hohen Herrn anschliesst.
Jene ovale Halle, welche der Baumeister Kornhausel beim Umbau des ehemaligen
Palais Sylva-Tarrouca dem Treppenhaus: verlegte, blos urn den schrägen Anschluss dea-
aelben an den Hauptbau zu rnaskiren, diese bisher zwecklose Rotunde ist nun gewisser-
massen das Vestibule der Albertina geworden. Von hier führt eine ganz kurze, bequeme
Treppe in den Vorraum der Sammlung, über deren Eingang eine schwarze Marmortafel
über Namen und lnhalt, Gründnng und Restaurirung der Kunstsammlung Kunde gibt mit
den schlichten Worten:
ALBERTlNA l liniarium picturafüm eollectio l ab Alberto Diice Saxoniae instinim,
e Carolo Auntriae Archiduce aucta, 1 ab Alberto Archiduce Austriu liberalium stiidiorum
in usum adornata.
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