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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 8)

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Ich habe im Verlaufe der Entwickelung des Altars einen Punkt 
übersehen, der nun nachgeholt werden muss. Anfangs hatte der ganze 
Leichnam im Sarge geruht, über welchem die Altarplatte liegt: nun aber 
ist im Laufe der Zeit nicht mehr ein ganzer Leichnam, sondern es sind 
nur Stückchen von Reliquien in einem besonderen Raume des Altares, 
dem Sepulchrum, eingeschlossen worden. Diese Partikeln setzen eine 
Zerstückelung der Heiligenleichname voraus, welche in der römischen 
Kirche nicht vor dem 8. Jahrhunderte stattfand, da diese sogar gegen 
die Translation der Leichname war und erst spät sich entschloss, die 
heil. Leiber aus den Katakomben in die Kirchen Roms zu flüchten, um 
sie den Räubereien der eingebrochenen Barbaren zu entziehen, die sie nach 
Oberitalien mitnahmen. Anderer Anschauung war die griechische Kirche 
schon seit langer Zeit gewesen, wo sich der religiöse Glaube entwickelt 
hat, dass jedes kleinste Theilchen des heil. Leibes, jedes Gewand- 
Stückchen, jedes Steinchen vom Sarkophage dieselbe Kraft besitze, wie 
der ganze ungetheilte Leib. Für die römische Praxis, welche die heil. 
Leiber in Ruhe lassen wollte, spricht die Antwort des Papstes Gregor 
des Großen an die Kaiserin Constantina von Byzanz, welche von ihm das 
Haupt des heil. Paulus oder auch nur ein Stück von dessen Leibe begehrt 
hatte; er schlägt ihr die Bitte ab, weil man solches Zerstückeln in seiner 
Kirche als Sacrileg ansehen würde, aber er sendet ihr - sicher in ent- 
sprechender Fassung - Stücke von den Ketten des heil. Paulus. Später 
erst schritt man, beispielsweise in Frankreich aus Furcht vor den Nor- 
mannen, zur Uebertragung der heil. Leiber aus den fixen Gräbern und 
Sarkophagen in bewegliche, transportable Kisten, Särge, wobei wohl 
gelegentlich Stückchen der heil. Leiber an Kirchen oder hochgestellte 
Personen abgegeben werden konnten. 
Auf diesem Standpunkte steht seit dem Mittelalter der katholische 
Altar; in ihm befinden sich zunächst in einer meist viereckigen Steintafel, 
die von einem hölzernen Rahmen umgeben ist, die Reliquien. Und diese 
mit dem Siegel des weihenden Bischofs versehene Tafel wird in einen aus- 
gemauerten Raum unter, oder in einen ausgemeißelten Raum in der 
Altarplatte eingesenkt. Nun kann dieses eigentliche Reliquienbehältniss 
auch eine einfache Blechbüchse oder ein Glasliäschchen sein, wie solche 
in den Altären der St. Stefanskirche in Wien gefunden wurden, die 
ca. 1466 vom Bischofe Wolfgang von Hippo eingeweiht worden sind. 
Das Gewöhnliche sind jetzt Tafeln mit Holzrahmen, aus Marmor oder 
anderem Steine, welche, da sie von den Missionären und reisenden Prie- 
stern mitgenommen und auf denjenigen ungeweihten Tisch gestellt werden 
können, auf welchem die heil. Messe zu lesen ist, Altaria portatilia genannt 
werden. Dass hier, besonders wenn der Altar einem Könige, Fürsten, 
Bischofe, einem Dome oder einer Prälatur gehört, die Kunst Gelegenheit 
bekommt, sich zu entfalten, versteht sich; handelt es sich doch hier 
sowohl um die Reliquien, als auch um den Ruhepunkt für das heiligste
	        
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